Nachlese & Seitenblicke
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Nachlese: Der Mann ohne Geld (Mark Boyle)

Könnt ihr euch vorstellen, ohne Geld zu leben? Mark Boyle kann es. Und hat es getan.

Ein Jahr lang lebte der studierte Betriebs- und Volkswirtschaftler in einem Wohnwagen, platziert auf einem Stück MannohneGeldFarmland in der Nähe von Bristol.

Keine Kreditkarten, keine Schecks, kein Bankkonto, keine Ausnahmen. Alle Bedürfnisse und Konsumgüter mussten innerhalb der 365 Tage ohne jegliche Zahlungsmittel befriedigt beziehungsweise besorgt werden – entweder durch eigene Produktion oder durch Herstellung von einer ihm bekannten Person; selbstgebaute Komposttoilette und Mülltauchen inklusive. Beginn des Experiments: der internationale „Kauf-nix-Tag“ Ende November 2008.

Kommunikationsinstrumente für die nächsten zwölf Monate: Laptop sowie Mobiltelefon mit leerer Prepaidkarte für eingehende Anrufe. Der notwendige Strom wurde mit Solarzellen erzeugt.

Geldlos glücklich
Mobiltelefon und Laptop? „Der Mann ohne Geld“ ist die persönliche Bilanz aus einem Jahr Konsumverweigerung, ist Ratgeber, Erfahrungsbericht und Porträt einer Reise. Und Boyle ein selbstkritischer Autor, der um (scheinbare) Widersprüchlichkeiten und Dilemmata seines Versuchs weiß. Die Entscheidung zugunsten der beiden Elektrogeräte war eine Entscheidung für die Teilhabe der weltweiten Öffentlichkeit. Als Gründer der Freeconomy Community hatte sich der „Moneyless Man“ – so der Titel der englischen Originalausgabe – bereits intensiv mit alternativen Lebensmodellen wie einer Gratiswirtschaft mit bargeldlosen Dienstleistungen und Waren auseinandergesetzt. Sein Wunsch: durch den einfachen Akt des Teilens Freundschaften zwischen Menschen an einem Ort wachsen zu sehen und zu sehen, wie der Geist der Freundlichkeit Herrschaft über die Gier gewinnt. Seine Idealvorstellung vom Leben: eine Welt ohne Geld. Doch damit nicht genug.

Die Grenzen der Autarkie
Schon vor Beginn des Projektes verwendete der Veganer ein Jahr lang kein Erdöl oder dessen Erzeugnisse wie Plastik. Während der Projektmonate kam die Befreiung von seelischem und physischem Ballast hinzu. Boyle tauschte die Bequemlichkeiten des 21. Jahrhunderts gegen jede Menge ökologischer Erfahrungen und lässt seine Umwelt auf mehr als 300 Seiten hautnah daran teilhaben. So erfährt der Leser beispielsweise Wissenswertes über umweltverträgliche Behausungen wie Earthships, Wohnhöhlen und Strohballenhäuser oder die Herstellung von Tinte und Papier aus Pilzen. Aber auch die alltäglichen Schwierigkeiten beispielsweise bei Krankheit werden nicht verschwiegen. Gleichzeitig entkräftet der Autor den Gedanken von wildromantischer Freiheit in vielen Punkten und stellt am Ende fest: ein Leben in voller Autarkie ist ein Mythos der modernen Gesellschaft. Um überleben zu können, sind wir zumindest von Bienen, Regenwürmern und Mikroorganismen abhängig.

Sätze wie dieser kombiniert mit wertvollen Hintergrundinformationen für eine nachhaltigere Lebensweise sind eindeutig die Stärke des Buches. Boyle führt uns vor Augen, wie sehr wir uns von den täglichen Gebrauchsgegenständen im Alltag entfremdet haben, wie wenig wir den Wert eines Konsumgutes oftmals zu schätzen wissen und wie achtlos wir den Dingen mitunter gegenübertreten.

Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim Wilhelm Goldmann Verlag:

Alle Zitate aus Mark Boyle: Der Mann ohne Geld. Meine Erfahrungen aus einem Jahr Konsumverweigerung. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2012 (9,99 €)

8 Kommentare

  1. oh mist, das Buch steht jetzt schon seit über nem halben Jahr auf meiner „To-Read“-Liste und jetzt hab ich noch mehr Lust darauf!!! (und so viel anderes zu lesen. hmpf)

  2. Vielen Dank für diese schöne Buchbesprechung! Habe vor zwei Jahren eine kurze Doku über Mark Boyle gesehen. Interessanter, sympathischer Zeitgenosse! Das Buch kenne ich aber noch nicht. Ob es wohl meine Bücherei hat?

  3. Vielleicht bin ich gerade etwas zu negativ, aber mir sind die „1 Jahr ganz extrem“ Versuche zu viel und das Ganze hat für mich immer den Hauch von „diesen Minimalisten kann man solche Themen und Bücher bestimmt super verkaufen“. Hilfreicher wären Erfahrungen wie man dauerhaft Lösungen für den Alltag findet und die für 70% der Menschen funktionieren. Das würde die Welt definitiv besser machen. Keiner muss ganz ohne Plastik leben um die Welt zu retten, aber jeder kann die Welt ein bisschen besser machen, indem keiner mehr eine Plastiktüte benutzt. Wie gesagt, negative Phase gerade, das Buch hat bestimmt auch gute Ansätze und ich bin in soweit unfair, dass ich es noch nicht gelesen habe. Mit dem Tipp wie man aus Pilzen Papier und Tinte macht, kann ich aber trotzdem nichts anfangen in einer Welt in dem täglich Millionen von Kugelschreibern verschenkt werden und jeder hunderte davon rumfliegen hat. So, genug des Ärgers. Das Buch ist bestimmt interessant zu lesen und ich danke dir für den Hinweis darauf!

  4. Das kommt auf meine Wunschliste.
    Das Sterntalerexperiment von Heidemarie schwermer berichtet auch über das Leben ohne viel Geld und mit wenig Hab und Gut. Irgendwo hatte ich auch noch eine Radiosendung runtrgeladen. Aber das war glaube ich eine andere Person. Ich werde noch mal in meinen Daten schauen ob ich die noch irgendwo habe.

  5. Minimalismus21 sagt

    Hallo zusammen,

    vielen Dank für eure zahlreichen Kommentare!

    @Frau DingDong, Christof, Mareike:
    Gern geschehen – und gebt Bescheid, wenn ihr das Buch gelesen habt. Bin gespannt auf euer kritisches Feedback!

    @markritter:
    Das Buch polarisiert ;-).

    Ich habe auch meine Schwierigkeiten mit derart langen Experimenten. Gerade viele „Neulinge“ auf dem Gebiet dürften hiervon eher abgeschreckt als angetan sein. Die Summe der Teile ist am Ende, was zählt. Das große Ganze macht oft mutlos und wirkt unerreichbar.

    Boyles Buch kommt an manchen Stellen schon einer Überspitzung gleich, die uns dennoch – oder gerade deswegen – den Irrsinn unseres Alltags in vielen Punkten vor Augen führt. Der Autor selbst plädiert am Ende dafür, seinen eigenen Weg zu finden und sich das zu extrahieren, was einem selbst richtig und wichtig erscheint.

    Den Erlös aus dem Verkauf hat er übrigens für eine gute Sache gestiftet. „Gute Sache“, weil ich hier nicht zu viel verraten möchte…

    @Mareike:
    Vielen Dank für den Hinweis. Klingt, als hätte jemand das Ganze schon „vorgedacht“ – und ist zudem im selben Verlag erschienen. Mittlerweile wohl leider nur vergriffen http://amzn.to/ZrJER1 :-(.

  6. Ohohoh, das les ich irgendwann auch noch. Einer meiner derzeitigen großen Helden ist ja Daniel Suelo. Der lebt seit 13 Jahren ohne Geld. Als Einstieg empfehle ich das Interview von Joshua Becker. Weitere Infos über seine Philosophie gibt’s auf seiner Homepage (sh. FAQs) und seinem Blog. Ein Buch, was seinen Werdegang hin zum Leben ohne Geld schildert, wurde auch über ihn geschrieben (The Man Who Quit Money von Marc Sundeen). Hochinteressanter Mensch!

  7. Ein Jahr ohne Geld zu leben, erfordert sicher Mut. Und nur in ein Erdloch … Ich muss zugeben, dass ich so nicht leben möchte. Doch auch, wenn man nicht unbedingt dem Autor nacheifern möchte, stimmt das Buch nachdenklich und führt vor Augen, dass vieles unnütze Dinge sind.

  8. Vielen Dank für die Rezension. Ich habe das Buch soeben bestellt und bin sehr gespannt. Diese Art von Experiment / das Extreme Schrecken mich eigentlich nicht ab. Wenn man mit der „richtigen“ Einstellungen an das Buch herantritt und es Denkanstöße gibt, dann hat es doch sein Ziel schon erreicht…

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