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Stoische Gelassenheit in der Konsumwelt

Beim Schmökern über eine Anthologie antiker Schriften gestolpert. Einen Ausschnitt aus Senecas Briefen an Lucilius gelesen. Und mich vom alten Tugendwächter ertappt gefühlt.

Ich zitiere den seinerzeit wohl berühmtesten römischen Stoiker:
„Wie entbehrlich viele Dinge unseres täglichen Gebrauchs sind, das erkennen wir oft erst an dem Tag, an dem wir sie zum ersten Mal haben entbehren müssen. Denn wir hatten uns daran gewöhnt, sie zu gebrauchen, nicht weil wir ihrer tatsächlich bedürften, sondern lediglich, weil wir sie besaßen. Wie viele Dinge aber schaffen wir uns erst noch an, weil andere sie sich vor uns angeschafft haben, weil sie bei den meisten bereits herumstehen!“

Ob man sie nun wirklich braucht oder nicht – es ist meiner Meinung durchaus positiv zu werten, wenn man Dinge, die man besitzt, auch benützt. Schlimmer sind plötzlich aufkeimende Begehrlichkeiten, der Wunsch nach möglichen Neuanschaffungen, die scheinbar alle um einen herum tätigen. Und wenn ich ehrlich bin, kenne ich diese Gedanken nur zu gut! Was ich schon alles haben wollte – und dann doch heilfroh war, wenn ich es nicht angeschafft habe. Oder eben den Kauf bereut habe.

Konsumwahn als Ersatzbefriedigung?
Groß sind die alltäglichen Verlockungen: Virale Werbekampagnen durchdringen unser vernetztes Leben immer raffinierter. Und viele Menschen dienen sich willfährige Helfer des schnöden Mammons an. Konsumieren, besitzen, sich selbst inszenieren, das zählt im kapitalistischen Tanz ums goldene Kalb! Gerne auch auf Pump, Hauptsache man hat das Neueste, Coolste als Erster. Apple hat dieses künstlich erzeugte Haben-Wollen zu einer neuen multimedialen Perfektion getrieben, aber auch andere Firmen arbeiten mit Erfolg daran, scheinbar unstillbare Begehrlichkeiten bei ihren Kunden zu erwecken. Regelmäßig werden vor allem neue Produkte des Techniksektors fast schon kultisch verehrt. Für manche Zeitgenossen sind sie nicht selten sogar identitätsstiftend. Das neueste Modell muss unbedingt angeschafft werden. Doch was geschieht mit den alten Geräten, meist noch voll funktionsfähig und kaum abgenutzt?

Moderne Technikgadgets brauchen gar keine Sollbruchstelle, keinen geplanten Verschleiß mehr. Getrieben von geschickter Werbung, eigenen Begehrlichkeiten und Geltungssucht sorgen viele Konsumenten schon selbst für eine immer kürzere Nutzungsdauer, für die geplante Obsoleszenz. Doch zu welchem Preis?

Um den alten Seneca noch einmal zu zitieren: „Unter den Ursachen unseres Unglücks ist eine auch die, dass wir nach den Beispielen der anderen leben: dass wir uns nicht von unserer Vernunft bestärken, sondern von allerlei Moden verführen lassen.“

Weniger ist mehr
Genau hier setzt für mich das Lebenskonzept des Minimalismus an: Durch kritisches Hinterfragen der eigenen Wünsche und Begehrlichkeiten auszusteigen aus dem fatalen Kreislauf des Immer-mehr-Habens, des maßlosen Kaufens. Für mich hilfreich sind dabei bewusste Kaufverzögerungen: Bloß nicht dem unmittelbaren Affekt nachgeben, denn meist verschwindet der Wunsch nach neuem Besitz so schnell, wie er aufgetaucht ist.

Oder das Ersehnte stellt sich wirklich als eine für mich persönlich positive Anschaffung heraus. Mir geht es nicht um besitzlose Askese, sondern ich möchte kritisch und maßvoll konsumieren, bewusst ausgewählte Dinge intensiv und ausgiebig nutzen. Und mich nicht in unnötigem Tand verlieren.

2 Kommentare

    • Herr M21er sagt

      Hallo Susanne,

      mir geht es genauso! Mich haben seine Schriften schon im LK Latein begeistert. Und das, obwohl mir das Übersetzen wahrlich nicht immer leicht gefallen ist… 😉
      Einen tieferen Einblick in die antike Philosophie gewonnen zu haben, dafür hat sich die Mühe jedoch gelohnt. Ich habe meinem damaligen Lehrer viel zu verdanken, denn er hat uns durch sein Vorbild nebenbei etwas viel Wichtigeres als die lateinische Grammatik beigebracht: die Neugier auf Neues, das kritische Denken und das Hinterfragen.

      Viele Grüße
      Herr M21er

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