Nachlese & Seitenblicke, Arbeit & Karriere
Kommentare 5

Zeitgeistphänomen Shareconomy? 6 Thesen

Seit Jahrhunderten teilen und tauschen Menschen ihr Hab und Gut. Mit dem technischen Fortschritt sowie der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft wird alter Wein in neue Schläuche gefüllt. Oder besser gesagt: in moderne Kanäle gegossen. Zahlreiche Plattformen im Internet sowie passende Apps ermöglichen heute den Austausch sämtlicher Güter – von Bohrmaschinen, über Autos bis hin zu Wohnungen (auf Zeit). Der scheinbar grenzenlose Zugang zu Besitz als weltweiter Trend? Wo sich vormals Menschen im kleinen Kreise beispielsweise zum Couchsurfing zusammenfanden, hat sich mittlerweile immerhin ein ganzer Wirtschaftszweig etabliert. Die sogenannte „Shareconomy“ ist die kommerzielle Antwort auf den Gemeinschaftssinn von Gestern. Ein moderner Begriff, hinter dem sich ein knallhartes kapitalistisches Gewinnstreben in flauschiger Ökologieverpackung verbirgt?

Shareconomy: Teilen als Geschäftsmodell
Diese und andere Fragen waren Thema bei der zweiten Veranstaltung der IHK München in der Reihe Wirtschaft digital. Auf dem Podium: Dr. Nikolas Beutin (PwC, PricewaterhouseCoopers), Olivier Bremer (BlaBlaCar.com), Roman Bach (9flats.com), Steffen Warlich (Sharing-Stadt Schwabinger Tor) sowie Moderator Cherno Jobatey (Huffington Post). Minimalismus21 war dabei und hat die interessantesten Aussagen sowie Thesen für euch zusammengefasst.

Podiumsdiskussion in der IHK München zum Thema "Shareconomy"

Podiumsdiskussion in der IHK München zum Thema „Shareconomy“

1. Wir erleben derzeit einen Paradigmenwechsel, weg vom Besitz und hin zu einer Kultur des Teilens inklusive ökologischerem Fußabdruck. Wir erkennen, dass wir den Großteil unseres Eigentums nicht 24 Stunden/Tag nutzen, dass der Neukauf vieler Sachen zu teuer ist und die meisten Produkte im ersten Jahr nach ihrer Anschaffung einen massiven Wertverfall erleben. Die Städte sind zu vollgestopft – von allem gibt es zu viel.

2. Ist der Begriff „Sharing Economy“ dennoch nur ein nettes Wording, ein „PR-Geklimper“, um die Gewinnabsicht dahinter zu verschleiern? Nach Beutin kann man nur dann wirklich von Shareconomy sprechen, wenn man keine Vermittlungsgebühr für den Austauschprozess von Gütern nehmen würde und kostenlos auf einer entsprechenden Plattform zusammenkäme. Wo ein Unternehmen dahintersteht, geht es nur um eines: den handfesten, wirtschaftlichen Gedanken.

3. Kurz gesagt: Auch Crowdfunding ist eine Form von Sharing.

4. Warum wurde das klassische Couchsurfing zunehmend „kostenpflichtig“? Nun, weil die Server, auf denen die entsprechenden Internetseiten (und mit ihnen die Angebote) gehostet werden, Strom benötigen. Und der kostet bekanntermaßen Geld. Spätestens wenn die monatliche Abrechnung ins Haus flattert, ist Schluss mit der Non-Profit-Tätigkeit: Gebühren gegen Plattform plus Anzeige lautet dann die logische Devise. Off-Topic: Wer in diesem Zusammenhang meint, Print (hier: Zeitungsinserate) und Digital hinsichtlich Nachhaltigkeit miteinander vergleichen zu müssen, sollte sich vorab gut über den Energiehunger von Rechenzentren sowie den Klimakiller Internet informieren.

5. Werden bald auch Arbeitnehmer geteilt? Ist Mitarbeiter-Sharing ein tragfähiges Modell etwa für Saisonarbeiter? #Bürosharing. Und weiter: Die Arbeitswelt an sich verändert sich grundlegend, andere Denkmodelle kommen zum Tragen. Junge Menschen haben kein Interesse mehr daran, 20 oder 30 Jahre im selben Betrieb zu sein. Fragen nach Sabbatical, Home Office und dergleichen werden lauter. Und selbstverständlicher.

6. Die soziale Komponente beim Sharing verschwindet auf den Internet-Plattformen immer mehr. Übersetzt heißt das: Mich interessiert nicht mehr der Besitzer, in dessen Wohnung ich untergekommen bin. Nach der Schlüsselübergabe endet die soziale Interaktion. Positives Momentum: In angemieteten Wohnungen benehmen sich Menschen besser als in Hotels. Shakehands bei der Übergabe und dem persönlichen – wenn auch kurzen – Kontakt sei es gedankt.

Was glaubt ihr: Ist die Shareconomy ein Zeitgeistphänomen, „the (next) big thing“ im Minimalismus? Oder ist aus einer idealistischen Grundidee schon längst ein kommerzielles Konzept geworden?

5 Kommentare

  1. Hallo,

    meines Erachtens sowohl als auch.

    Klar, erfährt das Teilen gerade eine Kommerzialisierung – man bedenke nur, dass AirBnB und Couchsurfing sich ja eigentlich gar nicht so stark unterscheiden. „Shareconomy“ würde ich persönlich auch gar nicht so breit verwenden, sondern sogar nur, wenn ein wirtschaftliches Interesse dahintersteht. Denn einfaches Teiles ohne finanzielle Hintergedanken hat auf jeden Fall den Karma-Bonus.

    Nichtsdestotrotz profitieren meiner Meinung nach beide Seiten auch dann, wenn Geld fließt. Denn ob ich eine Bohrmaschine für einen Tag für ein paar Euro ausleihe oder für wesentlich mehr Euro kaufe und dann für den Rest meines Lebens in den Abstellschrank stelle, macht schon einen Unterschied für mich.

    Alles Liebe,
    Philipp

  2. Hallo,
    mich stört einfach der Computer dazwischen und die Anonymität. Früher nannte man das einfach „Nachbarschaftshilfe“. Wir verleihen auch unseren Rasenmäher regelmäßig. Früher gab es einen für die ganze Straße. Ginge jetzt genauso.
    Ich tausche gerne „schwere-Gartenplatten-schleppen“ gegen „Ich säe deine Wiese.“ Weil ich das angeblich so gut kann. Mir machen diese Deals einfach Spaß. „Ich schaue kurz auf deine Gliederung und kürze sie. Du ölst meine Tür, weil ich Rücken hab.“ Natürlich kann dein Kind die ganze Woche bei uns essen wenn du auf Fortbildung bist.“ Heute ist das alles institutionalisiert. Man schaut in Karteien und sucht sich einen Babysitter. Wir hatten von Anfang an ein Nachbarsmädchen damals. Und sie kam gerne. Jeden Tag!!! Hab auch mal einen Laminatschneider geliehen. Jetzt haben wir einen und verleihen den. Natürlich kostenlos.
    Lg Tanja

  3. Ich hab an Werkzeug etc. im Grunde alles, was man so brauchen kann … ich heimwerke sehr gern und mochte nicht mehr davon abhängig sein, dass einer meiner Nachbarn eine Bohrmaschine hat (oder eben auch nicht). Im Studium war das immer so, und das hat total genervt… deshalb habe ich mir mit einem meiner ersten Gehälter die so lang ersehnte Bohrmaschine gegönnt 🙂 damals gab es noch kein Internet bzw. gabs schon, aber ich hatte keins, und Bohrmaschinensharing gabs damals auch im Internet nicht.
    Mit der Bohrmaschine mache ich aber trotzdem „Sharing“ – bei unzähligen Freunden und Freundinnen bohre ich seither Löcher in Wände, weil es dort keine Bohrmaschine gibt. Allerdings gibt es die Bohrmaschine nicht ohne mich: ich gebe sie nicht weg. Leider habe ich mit Werkzeugverleihen an Bekannte die allerschlechtesten Erfahrungen gemacht: meist musste ich irgendwann alles neu kaufen, da es entweder gar nicht oder aber beschädigt zurückkam, und ich leider zu lieb (oder eher: zu doof) bin, um Stress zu machen 🙁
    Heute würde ich ganz sicher auf die Sharing-Services zurückgreifen. Da man sich dort einträgt, wird das Werkzeug sicher pfleglich behandelt und kommt auch bestimmt zurück. Ich finde das also eine sehr gute Idee, die ich nur unterstützen kann!

  4. Die gute alte Nachbarschaftshilfe muss man halt auch organisieren. Wen keiner da ist, der sich kümmert, passiert halt auch nix. Ich hab kein Problem damit, die Nachbarschaftshilfe per App zu organisieren und zu nutzen oder per Computer ne Mitfahrgelegenheit zu finden. Aber es müssen halt genügend mitmachen. Tauschringe sind ja auch nix Neues.

    Die App „Whyownit“, die ja die ersten im deutschsprachigen Raum waren, ist eingegangen, weil einfach nicht genügend Leute mitmachen wollten. Also nutzen wollten alle es schon. Aber das Produkte einstellen und zum Tausch anbieten macht Arbeit und die will man sich als 9-5 Arbeiter und Teilzeitidealist dann doch nicht antun. Da ist kaufen und konsumieren einfacher.

    In die Bücherei gehen auch kaum noch Leute, weil man sich eben mal was downloaden oder streamen kann. Faulheit und Bequemlichkeit siegen und Verspätungsgebühren muss ich auch keine zahlen.
    Solange man also nicht grundsätzlich etwas in der Gesellschaft ändert wird sich auch in dieser Hinsicht wenig tun. Und wenn dann nur lokal.

  5. Die Kommerzialisierung bemerke ich auch, manchmal aber nicht sonderlich professionell. Beispiel: Wir haben hier Fahrradleihstationen, bei denen die Fahrräder alle recht klein sind – rausziehen des Sattels bringts da nicht immer. Tja, bringts nicht für mich. —
    Privat sich was leihen und verleihen: mache ich vorrangig auch eher im persönlichen Umfeld. Ständig im Internet herum suchen, habe ich ebf. wie Tanja Heller, nicht die wirkliche Lust – schon deshalb nicht, weil ich dann zwar etwas weniger Krams in der Wohnung, aber dafür um so mehr Accounts- und Login-Daten für das Internet.

Schreibe einen Kommentar zu Gabi Raeggel Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert