Nachlese & Seitenblicke
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2015: Ich lass‘ dann mal los

Jahresende und Neujahrswechsel. Ein beliebtes Datum, um Bilanz zu ziehen. Bilanz über 365 Tage. Bilanz über gute und schlechte Momente. Und: Bilanz über meinen gelebten Minimalismus. Schließlich hatte ich dafür zwölf Monate Gelegenheit. Würde ich einen symbolischen Strich unter diese Zeit ziehen, stünde dort als Fazit „Losgelassen für Fortgeschrittene“.

Das Leben ist ein (langer ruhiger) Fluss
Neulich habe ich gelesen, dass die statistische Lebenserwartung für Frauen bei 83 Jahren liegt. Männer müssen sich mit etwa 76 Lenzen zufrieden geben. Für Herrn M21er heißt dies also Halbzeit. Für mich geht es in großen Schritte auf eben diese zu. Warum ich das hier betonen möchte? Weil mir einmal mehr bewusst geworden ist, wie endlich das Leben ist. Wir alle haben ein bestimmtes Daseinskapital mit auf den Weg bekommen, welches ich mir wie einen großen Kalender mit unleserlicher Endzahl vorstelle: Jeden Tag wird dieser Kalender um ein Blatt dünner, jeden Tag gehen 24 Stunden vorbei, die ich in dieser Form nie wieder zurückholen kann. Wer vor diesem Hintergrund immer nur von Wochenende zu Wochenende und von Urlaub zu Urlaub lebt, reißt also etliche Blätter dazwischen lieblos und wenig achtsam ab.

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Alles im Fluss

Ein Hamsterrad namens Alltag
Trotzdem ist und bleibt es eine Tatsache, dass uns der Alltag zwischen eben diesen freien Momenten manchmal schier aufzufressen scheint. 2015 war dies besonders ausgeprägt: Ein langes Dissertationsprojekt abschließen, Prüfung vorbereiten, Verlagsverhandlungen führen und daneben zahlreiche neue Herausforderungen im Vollzeitjob bewältigen. Für Muße und qualitativ wertvolle (Ich-)Zeit blieb oft nur wenig Raum. Umso mehr habe ich mir angewöhnt, mich noch stärker als bislang zu fokussieren, mich frei zu machen von gesellschaftlichen und persönlichen Erwartungen. Die studierte Germanistin in mir muss nicht den kompletten literarischen Kanon durchgearbeitet haben. Die promovierte Historikerin hat nicht den Anspruch, die Weltgeschichte erklären zu können. Die Filmliebhaberin guckt DVDs mit deutscher Synchronfassung und verzichtet ohne schlechtes Gefühl aufs englische Original. Die Minimalistin in M21 akzeptiert, dass sie niemals alle Länder sehen, alle Bücher lesen, alles Interessante dieser Welt in seiner unüberschaubaren Vielfalt aufnehmen, verstehen und konsumieren wird.

Das Leben ist im Fluss und wie ein Fluss, heißt es. Und den kann man bekanntlich nicht mit den Händen aufhalten. Aber wir können uns mitreißen lassen und immer dann für eine bestimmte Zeit an Land gehen bzw. andocken, wenn uns etwas und jemand als besonders wertvoll erscheint. Wir können uns konzentrieren und uns auf das beschränken, was uns lieb und teuer ist. In den letzten 365 Tagen hatte ich viele Gelegenheiten, den Wert der Dinge für mich zu überprüfen, herauszuschälen und freizulegen – sei es auf Reisen oder während der Auseinandersetzung mit den vielen Facetten einer alternativen Lebenswelt fernab unserer zunehmenden Konsumdiktatur.

Ich habe gelernt, dass man im Leben nichts – oder nur sehr wenig – auf Dauer festhalten kann. Und muss. Das gilt für Besitztümer ebenso wie für zwischenmenschliche Beziehungen. Ich habe dabei verinnerlicht und am eigenen Leibe erfahren, wie schmerzhaft Loslassen dennoch immer wieder sein kann und wie befreiend es zugleich ist, wenn man den neugewonnenen Raum im Anschluss mit offenen Armen empfängt. Mein persönliches Glück und meine Zufriedenheit haben ihre Ankerplätze auf dem weiten Meer der Möglichkeiten gefunden. Jeden inneren und äußeren Ballast, den ich über Bord geworfen habe, hat mich in diesem Jahr ein bisschen leichter und unabhängiger gemacht: Ich spüre endlich Rückenwind. Er treibt mich an und vermittelt mir das sichere Gefühl: Du bist auf dem richtigen Kurs!

2016, ich freue mich auf Dich. Seichte Gewässer und stürmische Zeiten inklusive. Los geht’s.

2 Kommentare

  1. Was für ein schönes Fazit mit einer wichtigen Botschaft 🙂 Ich wünsche euch beiden einen fließenden Rutsch ins neue Jahr und freue mich sehr, wenn wir uns (hoffentlich) im Sommer beim Minimalismus-Treffen wiedersehen.

    Liebe Grüße, Svenja

    • M21 sagt

      Liebe Svenja,

      auch wir wünschen euch ein gesundes und erfolgreiches (Blogger-)Jahr 2016 und hoffen sehr auf ein Wiedersehen im Sommer :-).

      Herzliche Grüße
      M21

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