Arbeit & Karriere
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Gastbeitrag: Eine Ordnungsberaterin erzählt

Es ist jetzt fast vier Jahre her, dass ich mich als Ordnungsberaterin selbstständig gemacht habe. Noch immer habe ich auf die Frage, womit ich mein Geld verdiene, keine kurze, prägnante Antwort parat. „Ordnungsberaterin“ ist eigentlich ein unzulänglicher Begriff. Er beschreibt nicht annähernd, was ich tue, wenn ich mit Kunden arbeite. Ebensowenig gibt er wieder, was meine Kunden und ich erreichen, wenn wir uns gemeinsam Zimmer um Zimmer vornehmen.

Das Ende der Komfortzone
Fast alle, denen ich meine Arbeit beschreibe, erklären anschließend entweder, sie könnten meine Hilfe eigentlich ebenso brauchen oder sie kennen jemanden, der sie brauchen könnte. Fast immer folgt dann die Frage, ob ich viel mit Messies zu tun habe. Nein, habe ich fast gar nicht. Der allergrößte Teil meiner Kunden ist einfach aus verschiedenen Gründen überfordert. Aber sie wollen ihre Situation ändern und sind dafür bereit, aus ihrer Komfortzone zu treten. Ich bekomme wohl hin und wieder Anfragen von Messies und bin auch zu Erstgesprächen dort. Die Angst vor Veränderung überwiegt aber in fast allen Fällen den aktuellen Leidensdruck. Daher kommt es fast nie zu einer Zusammenarbeit.

Ein Motor namens Ordnungsberaterin
Es gibt große Unterschiede zwischen meinen Kunden und ihren Wohnsituationen, aber eine Gemeinsamkeit: der Wunsch, sich endlich wieder in den eigenen vier Wänden frei zu fühlen. Frei von Ballast. Frei von den Gedanken an das herrschende Chaos. Frei von der Belastung, die Aufgabe endlich anzugehen. Frei von dem Gefühl, sich der Aufgabe nicht gewachsen zu fühlen. Frei vom ewigen Aufschieben. Es gibt Menschen, die mich um Hilfe bitten, weil sie schlicht nicht wissen, wie sie das Ausmisten angehen sollen. Wie sie Struktur in ihre Wohnung bringen können. Diese Kunden haben meist überhaupt kein Problem, sich von Dingen zu trennen. Sie wissen genau: Wenn sie ihr Ziel erreichen wollen, müssen sie über ihren Schatten springen und sie sind dazu bereit. In diesen Fällen bin ich der Motor, der die Arbeit am Laufen hält, motiviert und hin und wieder einen Hinweis gibt. Die Entscheidungen fallen zügig und es geht dann nur noch darum, wo man die ausgemisteten Sachen sinnvoll unterbringt. Nur die wenigsten Dinge werden wirklich entsorgt. Für das allermeiste gibt es dankbare Abnehmer.

Katrin_schafft_Platz_1

Viele meiner Kunden aber hätten gerne ein Wunder von mir: bloß nichts ausmisten, aber trotzdem mehr Platz und Ordnung. Wenn wir dann darüber diskutieren, ob der zweite – ohnehin kaputte – Pfannenwender ausgemistet werden soll, kann ich die aufsteigende Panik körperlich mitempfinden; so groß ist sie. Ich sehe, welche Szenarien vor ihren Augen entstehen: Was ist, wenn der andere Pfannenwender auch kaputt geht? Was, wenn ich mal zwei Pfannenwender gleichzeitig brauche? Das sind keine lächerlichen Szenarien. Die Angst ist real und macht diesen Menschen wirklich zu schaffen. Sie lähmt sie, macht sie handlungsunfähig. Sie leben in der Angst, in der Zukunft mit einer Situation konfrontiert zu werden. Und sie haben kein Vertrauen in sich, diese Situation bewältigen zu können. Aus diesem Grund werden viele Dinge mehrfach angeschafft, die dann oft jahrelang originalverpackt in den Schränken liegen. Tchibo und Aldi stellen sich da als großartige Jagdgründe heraus. Oft hilft es, die Vorstellung bis zum Ende zu denken und ihr so den Schrecken zu nehmen. Dann darf auch der Pfannenwender gehen.

Entrümpelfalle Erinnerung
Zugleich leben diese Menschen sehr in der Vergangenheit und können sich nicht von Dingen trennen, die mit Erinnerungen verbunden sind. Da fallen einem zunächst natürlich Fotos und Briefe ein. Es können aber genauso Schuhe sein, die man in einem besonders schönen Urlaub immer getragen hat. Unmengen an Bastelarbeiten der Kinder. Schon arg angeschlagenes Geschirr von den Großeltern. Auch hier gilt: Der Gedanke, sich von den Stücken zu trennen, löst sofort Angst aus. Angst, die Erinnerung gemeinsam mit dem Gegenstand zu verlieren. In der eigenen Vorstellung ist das Ding untrennbar mit dem Vermögen verknüpft, sich zu erinnern. Es ist völlig in Ordnung, einen Kaffeebecher mit Macken aufzuheben – wenn man daraus trinkt und sich dabei an das gemeinsame Kaffeetrinken mit dem Opa erinnert. Dann würde ich auch lieber einen intakten Becher ausmisten. Wenn aber der Opa-Becher im hintersten Winkel des Schrankes oder sogar in einer Kiste im Keller steht, ist die Sache mit der Erinnerung nur ein Vorwand.

Übung macht den (Ausmist-)Meister
Mit zunehmenden Vertrauen bzw. zunehmender Übung gelingt es jedoch leichter, und diese Kunden kommen ihrem Ziel Stück für Stück näher. Und auch sich selbst. Jeder Gegenstand, der gehen darf, zeigt auf der anderen Seite, was bleiben muss. Zeigt, was dem Menschen wirklich wichtig und wertvoll ist und was das Leben bereichert. Da gibt es immer Aha-Erlebnisse. Zugleich wächst das Vertrauen in die eigene Person: Denn wen man gut kennt, dem kann man besser vertrauen. Besonders gut gelingt das, wenn man sich den „Das mach ich, wenn ich Zeit habe“-Projekten annimmt. Kisten mit Urlaubsmaterial warten darauf, in ein Album geklebt zu werden. Vorhänge darauf, genäht zu werden. Hanteln wollen gestemmt werden. Und mein allerbeliebestes Beispiel: Hometrainer warten darauf, getreten zu werden. Die Utensilien nehmen teilweise nicht nur wirklich viel Platz weg, sondern sie erinnern einen ständig daran, sich dem Projekt doch endlich einmal anzunehmen. Hallo, schlechtes Gewissen. Mein Rat: Noch diese Woche loslegen und sehen, wie es sich anfühlt. Vielleicht entdeckt man ja wirklich eine neue Leidenschaft. Wenn nicht, bitte trennen. Das schlechte Gewissen, das gleichzeitig verschwindet, wird niemand vermissen. Sich einzugestehen, wer man nicht ist (Hantelstemmerin, Vorhangnäher), ist vielleicht in manchen Fällen unangenehm. Aber sehr befreiend. Denn es zeigt zugleich, wer man ist.

Über die Autorin
Katrin_Misere
Katrin arbeitet seit 2012 als Ordnungsberaterin in Wien und Umgebung. Sie hilft Menschen, die ihren Wohnraum zurückerobern und sich in ihren Wänden endlich zuhause fühlen möchten. Sie unterstützt beim Ausmisten und schafft Strukturen – egal ob im Keller, im Büro, im Kleiderschrank oder im Kinderzimmer.

Mehr Infos unter www.katrin-schafft-platz.at.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von katrin-schafft-platz.at

2 Kommentare

  1. Oh was für ein toller Artikel 🙂 Danke!

    Machst Du auch Auslandseinsätze …? (ich frag mal ganz vorsichtig …)

    Liebe Grüße!

    Susanne

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