Heim & Mein
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Des Minimalisten neue Kleider

Minimalismus leben heißt Kompromisse eingehen. Kompromisse mit mir selbst. Entscheidungen für oder gegen eine Sache. Pro oder contra. Gestern Abend habe ich mich für pro entschieden und damit für eine Tasche. Blau und groß und schwer stand sie bei unserem allabendlichen Spaziergang an einer Straßenecke. Blau und groß, wie sie Heerscharen von Teelichtkäufern werktäglich durch schwedische Möbelhäuser schleppen. Ein Zettel lag obenauf: zu verschenken. Ihr Inhalt: Dutzende von Kleidungsstücken, die den Jäger und Sammler in mir instinktiv an seiner Achillesferse kitzelten.

Leben in der Wegwerfgesellschaft

zu_verschenken

Zu verschenken: Der Original-Zettel

Einen kritischen Blick später hatte ich zwei Teile herausgepickt. Ein Halstuch und eine Hose, die ich zu Hause in Ruhe probieren wollte. Als Herr M21er und ich weiterliefen, diskutierten wir wieder einmal über die maßlose Verschwendungssucht, über Konsumwut und darüber, wie selbstverständlich und achtlos vor allem Textilien bereits nach kurzer Tragedauer ausgetauscht und entsorgt werden. Als wir nach eineinhalb Stunden wieder zurückkamen, stand die Tasche immer noch da. Kein einziges Teil fehlte.
Diese Situation ist uns nicht fremd. Wie oft sind wir in der Vergangenheit auf Kisten und Kartons gestoßen, in denen sich der „Wohlstandsabfall“ unserer Gesellschaft befand. Wie oft waren diese auch Tage später noch immer voll. Voll mit gut erhaltenen Büchern, tadelloser Kleidung, unbenutztem Geschirr und sonstigen Dingen, die selbst kostenlos offenbar niemand mehr haben möchte. Mich macht dieser Umstand immer wieder aufs Neue betroffen. Für mich sind aussortierte Gegenstände nicht zwangsweise tot. Für mich steht selbst hinter dem abgelegten Baumwollshirt noch immer der Respekt vor der Schöpfung, in diesem Fall vor dem Gossypium, aus dessen Samenhaaren die Faser für ein Shirt gewonnen wurde. Und für mich wird es an dieser Stelle oft in zweifacher Hinsicht emotional schwierig: Der Minimalist in mir kämpft dagegen, Sachen nur deshalb in meinen Besitz zu integrieren, weil sie umsonst (gewesen) sind. Der Recycler möchte ausrangierte Gegenstände fremder Menschen einsammeln und einem guten Zweck wie den lokalen Gebrauchtwarenhäusern zuzuführen. Doch kann man auf diese Weise die Welt retten?

Ihr seid dann mal weg
Fest steht, die Haustürentsorgung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Zumindest in unserem Stadtteil. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ scheint hier die Devise zu lauten. Gestern Abend hat der Verweigerer und Aussortierer in mir verloren.

Konsumkritik

Stop The Fucking Konsum – Häuserwand in unserem Stadtteil

Den Rest der blauen Tasche habe ich am Ende ebenfalls mitgenommen. Und irgendwie scheint es das Schicksal dabei verdammt gut mit mir gemeint zu haben. Die Marken-Hose ist nahezu ungetragen und passt wie angegossen, der Schal auch. Ein Hemd von Seidensticker nenne ich seit wenigen Stunden ebenso mein Eigen wie einen nagelneuen Rock. Die übrigen Kleidungsstücke werde ich nicht behalten. Ein Drittel spende ich dem Secondhandladen von Diakonia. Ein weiteres Drittel ist unansehnlich sowie voller Löcher und wandert noch heute in einen Sammelcontainer für Textilabfälle.

Dann drehen Herr M21er und ich wieder unsere Abendrunde.

9 Kommentare

  1. Aus diesem Grund bin ich nun bei Kleiderkreisel angemeldet und spende meine ausrangierten Sachen zum Teil, wenn sie dort nicht weg gehen. Leider sind dort viele Fashionistas habe ich den Eindruck und die wollen meine 3 Jahre alten aber kaum getragenen Sachen leider nicht immer. Schade.
    Ich selber kaufe auch gern auf Trödelmärkten Kleidung. Ich habe damit kein Problem, wenn sie in Ordnung sind. Ich bin es aber auch gewöhnt seit Kindheit die Kleidung meiner Geschwister aufzutragen. Da sich aber nun nichts mehr an unserer Größe und Statur ändert, funktioniert das höchstens noch mit Accesoirs von meiner Schwester.

    LG
    Mareike

    • Minimalismus21 sagt

      Von Kleiderkreisel habe ich schon öfters gehört.
      Funktioniert das wie ebay und Co. oder gibt man dort einen Festpreis an?

      Ich bin ein absoluter Fan von Trödel- und Flohmärkten, nicht nur bei Kleidung. Ein paar meiner schönsten Schmuckstücke habe ich dort für einen Apfel und ein Ei gekauft. Wie oft haben mich Kolleginnen oder Freunde schon gefragt, wo ich dieses oder jenes Stück ergattert habe. Ungläubige Blicke sind meistens ihre Reaktion auf meine Antwort :-).

      Und mal ehrlich: Kaum etwas ist überdies so indivdiuell wie die (alten) Dinge, die man – fernab von aktueller Massenware – auf dem Trödel findet.

  2. Fundstücke, so wie die Jeans, oder Geschenke, schätzt man dann aber viel mehr wert. So ist zumindest meine Erfahrung. Ich habe mal eine Strickjacke auf der Straße vor meiner Wohnung gefunden. Nagelneu, kuschelweich, genau meine Größe. Das ist jetzt sieben Jahre her und ich trage sie noch immer gerne und oft. Genauso ist es mit geschenkten oder geerbten Stücken (nicht mit allen, man muss da auch nein sagen können). Wir tauschen oft in der Familie, meine Schwester, meine Mutter und ich. Was dem einen nicht mehr gefällt oder passt, findet ein anderer bestimmt noch gut. So bin ich auch an einige Lieblingsstücke gekommen.
    Allerdings glaube ich, die meisten Menschen fühlen sich schlecht, wenn sie abgelegte Kleidung verschenken oder annehmen. Das hat für sie vielleicht den Anschein, arm zu sein und sich nichts neues kaufen zu können. Dabei sieht man es den Sachen meistens nicht an, das ist also etwas, was nur im Kopf passiert. Schade eigentlich.

    • Minimalismus21 sagt

      Sich neue Dinge leisten zu können, ist offenbar immer noch ein Statussymbol. Eigentlich dumm – ich gebe gerne Geld für gebrauchte Gegenstände aus: schont Ressourcen und Portemonnaie. Lieber investiere ich mehr in Dinge, die ich nicht secondhand bekomme wie hochwertige Lebensmittel – Foodsharing u.ä. einmal ausgenommen.

      Vor allem Kleidung ist mittlerweile so billig geworden, dass man sie mehrfach pro Saison auswechseln kann.

      Was nichts kostet, ist (offenbar) auch nichts wert.

  3. Diese Tüten kenne ich aus meiner Gegend nicht. Einen guten Umgang damit, habt ihr da. Viel Geld bzw. Arbeit gespart. Und etwas erlebt. Ein echtes Shopping Erlebnis ohne Shop.

  4. Hallo zusammen,

    das ist ja mal ein Thema, zu dem mir spontan Fairnopoly einfällt.

    Fairnopoly ist ein Online-Marktplatz, auf dem neue und gebrauchte Dinge gekauft und verkauft werden können. Der verantwortungsvolle Konsum sowie fairer und transparenter Handel werden gefördert. Im Gegensatz zu den bestehenden großen Online-Marktplätzen ist Fairnopoly eine Genossenschaft und demokratisch kontrollierbar.

    Fairnopoly verfügt auch über eine eingebaute Spendenfunktion: Ein Prozent jeder Transaktion wird an Initiativen gespendet, die sich gegen Korruption einsetzen. Zusätzlich können Verkäufer*innen ihren Verkaufserlös direkt an Organisationen ihrer Wahl spenden.

    Erklärte Ziele der Plattform sind

    1. Ein Faires Unternehmensmodell
    2. Die Förderung von verantwortungsvollem Konsum
    3. Ein Beitrag zur Korruptionsbekämpfung

    Ich finde das ist eine großartige Idee und unterstütze Fairnopoly daher gerne.

    Wenn man sich gerne neue Kleidung kauft kann man immer noch verantwortungsvoll damit umgehen, indem man sie zum Beispiel weitergibt oder weiterverkauft. Ich persönlich liebe es auch, gebrauchte Dinge zu kaufen und freue mich doppelt und dreifach über schöne und gut erhaltene Stücke.

    Nichts geht doch über einen gepflegten Flohmarktbummel – übrigens neulich bei schönstem Wetter erlebt in Hamburg am Rothenbaum 🙂

    Herzliche Grüße an dieser Stelle mal wieder vom
    ÖkoChick

  5. Johann sagt

    Anscheinend wohne ich in einem ärmeren Viertel – wenn man hier Bücher, Geschirr oder Kleidung rausstellt, ist es innerhalb eines Tages weg. Ich habe so sowohl schon Sachen gefunden wie auch weggegeben.

  6. Ich habe das Glück, in einem Sharing-Hippie-Haus mit 20 Wohnungen zu leben. Im Erdgeschoss steht ein Regal, in dem Dinge liegen, die man mitbenutzen kann (Werkzeug, Spiele). Ich habe eine Adoptionskiste dazugestellt. Es funktioniert! Meine alte Playstation 1 mit fünft Spielen und zwei Controllern war sofort weg. Auch zwei Gürtel, eine Handtasche sowie eine Glasvase und vier Tassen haben einen neuen Besitzer gefunden. Mittlerweile legen auch andere abgelegte Dinge rein. Was mich wundert ist, dass es zu 90 % tolle Sachen sind und kaum Müll und Kruscht. Mal gucken, wie lange das hält 🙂

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