Epikur im 21. Jahrhundert. Was hielte er vom aktuellen Diskurs zum Thema „Minimalismus“? Welche Ansichten würde der um 340 v. Chr. auf Samos geborene Philosoph bloggen oder twittern?
Die Antwort fällt auf den ersten Blick schwer. Denn niemand wurde so gründlich missverstanden wie Epikur. Schon seine antiken Zeitgenossen verunglimpften ihn als Trinker und Schlemmer, als unersättlichen Hedonisten und gottlosen Frauenhelden. Doch in Wahrheit war der Sohn eines Lehrers ein sittenstrenger Mensch. Seine ethischen Überlegungen zur individuellen Suche nach dem wahren Lebensglück haben nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Vor allem seine Bedürfnislehre macht ihn für viele zum antiken Vorläufer des heutigen Minimalismus. Von nur wenigen elementaren Grundregeln geprägt weist sie den Weg in ein glückliches Leben. Erfüllt sah Epikur dieses Glück in einem schmerz- und angstfreien Zustand: „Wenn wir erklären, Lust sei das Endziel, so meinen wir nicht die Lüste der Schlemmer und diejenigen, die auf dem Genuss beruhen, wie manche Unwissende, Andersdenkende oder Böswillige glauben, sondern das Freisein von körperlichem Schmerz und seelischer Unruhe.“ Sein Schlüssel zu diesem wahrhaft lustvollen Dasein: die Mäßigung.
Seine Bedürfnislehre beschreibt drei Arten von Wünschen: natürliche und notwendige, natürliche und nicht notwendige, nicht natürliche und nicht notwendige.
Fürs Überleben braucht jeder Mensch Nahrung und Getränke ebenso wie Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Diese natürlichen und notwendigen Bedürfnisse müssen erfüllt sein. Übermäßiger Genuss und purer Luxus sind damit jedoch nicht gemeint: „Mein Körper strömt über vor Leichtigkeit, wenn ich von Brot und Wasser lebe, und ich spucke auf die Freuden des prachtvollen Lebens, nicht ihrethalben wohlgemerkt, sondern wegen der Beschwerden, die sie mit sich bringen.“ Eine deutliche Warnung vor der Befriedigung nicht natürlicher und nicht notwendiger Bedürfnisse! Bei den übrigen natürlichen, aber nicht notwendigen Wünschen sollten sich seine Anhänger hingegen immer zuerst fragen: „Ist es vorteilhaft für mich oder nicht?“
Nichts anderes machen viele moderne Minimalisten heute auch.
Epikur würde die aktuelle Diskussion über Downshifting, Beschränkung und Nachhaltigkeit wahrscheinlich begrüßen. Ob er jedoch den philosophischen Disput in seinem ‚Garten der Freundschaft‘ gegen unsere modernen Kommunikationsmöglichkeiten eintauschen würde, mag dahingestellt sein; seine Schüler lebten jedenfalls mit ihm in einem Haus mit großem Grundstück außerhalb Athens.
Epikurs Zitate entstammen der überaus lesenswerten Geschichte der griechischen Philosophie. Von Sokrates bis Plotin von Luciano de Crescenzo (Zürich: Diogenes 1988, 159ff.).
Schluchz, hab was Längeres geschrieben und dann kam eine Fehlermeldung. Deswegen nun nur der Hinweis, dass der Aphorismus „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.“ meiner Erinnerung nach auch von Epikur stammt….
Vielen Dank für den Hinweis.
Im 21. Jahrhundert klingt das u.a. so: Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wenig braucht. (Niko Paech).
Und ich frage mich gerade:
„Timeout“ als elektronische Minimalismus-Falle? 😉
[…] zurückziehen und nur mehr von dem leben wollten, was andere wegwerfen, wer produziert dann die notwendigen […]
Bin gerade nochmal auf Deinen Artikel gestoßen, weil ich gerade an meinem nächsten Blogartikel mit dem Arbeitstitel „100 Minimalismus-Zitate aus 4 Jahrtausenden“ schreibe 😉