Ich bringe es gleich auf den Punkt: Das Leben ist endlich! So lautet der erste Satz von Hans-Jürgen Heinicke. Zusammen mit dem Autor Fred Sellin hat der Wohnungsauflöser ein Buch geschrieben. Sein Titel? Unmissverständlich das Fazit der Einstiegssequenz: Was vom Leben übrig bleibt, kann alles weg.
Wenn Heinicke in Interviews diese Formulierung persönlich in den Mund nimmt, dann liegt die Betonung erschreckender Weise auf alles. Vielleicht liegt das an mehr als 30 Jahren Berufstätigkeit, die den Sachverständigen für Nachlässe geprägt haben. An drei Jahrzehnten als Trüffelschwein, Psychologe, Detektiv und Archäologe, wie er sich selbst gerne bezeichnet. Denn der Schatzsucher beschönigt nicht, dass es in seiner Mission am Ende immer nur um Gewinn geht, also um so etwas Profanes wie Geld.
Genau das verdient der gelernte Betriebsschlosser mit dem, was die ehemaligen Besitzer zu Lebzeiten gehortet, gesammelt und aufbewahrt, Hinterbliebene oder andere Erben nicht entsorgt oder sich am Ende in ihren Besitz einverleibt haben. Und dieser Gedanke ist oft nur schwer zu ertragen.
Ob Möbelstück, Teppichsammlung oder sonstige Parade – was für den Verstorbenen einst emotional aufgeladen und wichtig gewesen sein mag, konkurriert am Ende bestenfalls noch im Auktionshaus um den höchsten Preis; obwohl die Kunden, die den Entrümpler beauftragen, häufig eine vollkommen andere Wertvorstellung haben. Heinickes These: Die meisten Dinge verlieren bereits nach dem Kauf ihren Wert, das Kaufhaus wird zur Vorstufe der Müllhalde.
Das Leben der Anderen
Doch genau von derartigen Verlassenschaften und von ehemaligen Besitzern erzählt dieses Buch, von schönen Reisen, einem heimlichen König sowie einer Schauspielerin, aber auch von der Jungfrau Maria und von fremden Welten. Beim Schmökern durch rund 250 Seiten darf man sich ungeniert zwischen Drei-Zimmer-Wohnung und herrschaftlicher Villa, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, erlebter und geschriebener Geschichte bewegen und sich in unterhaltsamen Phantasien, Puzzlestücken und Überlegungen zur Existenz der ehemaligen Bewohner verlieren. Das ist sowohl traurig als auch komisch, manchmal sogar verstörend oder befremdlich, etwa wenn sich Heinicke in den vier Wänden eines ehemaligen Steuerberaters erst einmal ein Bad im Whirlpool genehmigt.
Die ständige Begegnung mit dem Tod ändert die Sichtweise aufs Leben, heißt es im letzten Kapitel. Wer jahrelang Massen an fremdem Besitz geordnet hat, bekommt zwangsläufig ein anderes Verhältnis zu Konsumgütern und dem damit verbundenen Glücksversprechen. Mit Shoppen als Identitätskrücke hat dieser Mann definitiv nichts mehr am Hut.
Mancher Leser am Ende ebenso wenig.
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim Fischer Taschenbuch Verlag:
Alle Zitate aus Hans-Jürgen Heinicke: Was vom Leben übrig bleibt, kann alles weg. Fundstücke eines Wohnungsauflösers. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2012 (8,99 €)
Ich kaufe sehr gerne Möbel auf und verkaufe diese wieder. Ich habe viel zu tun mit den Verlassenschaften von anderen. Es ist manchmal etwas komisch für mich. Ich kaufe diese Dinge, die mal wichtig für eine bestimme Person gewesen sein muss. Manchmal frage ich mich was für eine Person das gewesen sein muss und leite mir das her wie die Person gelebt hat und was diese so zurück lässt.
Und irgendwann fragt sich das jemand vielleicht bei dem Besitz, den wir heute unser Eigen nennen.
Ein komischer und trauriger Gedanke zugleich. Aber oftmals hilfreich, um unnötigen Besitz bzw. Ballast schon im Hier und Jetzt loszulassen.
Liebe Grüße
M21
Wir möchte endlich alles regeln für den Fall meines Todes, einschließlich der Vertretung in Verlassenschaft. Außerdem möchte ich meine Einrichtung minimieren. Darin bestätigen mich diese Gedanken, zu dem was übrig bleibt.