Monate: Oktober 2013

Brief an die Vergangenheit

Lieber Andreas, heute musste ich wieder einmal an Dich denken. Genauer gesagt: An unsere Freundschaft Mitte der 1980er Jahre. Wir besuchten beide die gleiche Klasse in der Grundschule und wohnten fast Haus an Haus. Schon bald stellten wir fest, dass wir eine Leidenschaft teilten – Hörspiele. Während ich mit den Drei Fragezeichen durchs Geisterschloss schlich oder mit Bibi Blocksberg die Schwarzen Vier jagte, zog es Dich mit Jan Tenner in unbekannte Dimensionen. Grund genug für einen Tausch. Bibi gegen Jan, Hexenbesen gegen Raumschiff. Natürlich durfte niemand wissen, dass Du Dir heimlich meine „Mädchenkassetten“ ausgeliehen hast. Und glaube mir: Bis heute habe ich das auch niemandem verraten. Und wie war das eigentlich damals mit Deiner Garfield-Phase? Als Dein Kinderzimmer renoviert wurde, prangte der fette Kater plötzlich überall: Garfield-Tapete, Garfield-Bettwäsche, Garfield-Comics – gefühlt gab es keinen Platz mehr in Deinen zehn Quadratmetern, auf denen nicht das orange Ungetüm zu sehen war. Apropos sehen: Wenn ich heute an unsere gemeinsame Zeit zurückdenke, werde ich fast ein wenig melancholisch. Bilder von Zehnerleis, von sauren Schlangen zu fünf Pfennig, von …

00-Nummer

Neulich an der Tankstelle, an einer Autobahnraststätte irgendwo in Österreich. Herr M21er und ich sind auf dem Nachhauseweg von einer Hochzeit. Wir wollen uns kurz die Füße vertreten, nennen wir es austreten, und das Auto hat Durst. Auf dem Weg zu den Toiletten müssen wir ein Ticket ziehen. Keine Warteschlange und kein Aufrufen der Nummern, aber 0,50 Euro für den Service am Kunden. Doch der weiß-grüne Wertbon ist mehr als eine Eintrittskarte für des Menschen Geschäft. Der Bon ist ein Gutschein für im Voraus bezahlte Leistungen, ein Voucher, den Kunden pro zehn Liter Treibstoff oder pro einem Euro Umsatz bei allen übrigen Produkten im Nachgang einlösen können. Da wir den Sprit bereits im Vorfeld bezahlt hatten, bleibt nur noch Variante zwei übrig. Der Tiger im Minimalist Sofort erwacht der Tiger in mir und schleicht durch die Gänge der Supermarkt-Tanke. Das Objekt der instinktgetriebenen Begierde: eine günstige Beute, eine, bei der sich das Einlösen von einem halben Euro wirklich lohnt. Sagte ich „wirklich lohnt“? In den Regalen locken überteuerte Softdrinks für drei Euro aufwärts und einzelne …