Lieber Andreas,
heute musste ich wieder einmal an Dich denken.
Genauer gesagt: An unsere Freundschaft Mitte der 1980er Jahre. Wir besuchten beide die gleiche Klasse in der Grundschule und wohnten fast Haus an Haus. Schon bald stellten wir fest, dass wir eine Leidenschaft teilten – Hörspiele. Während ich mit den Drei Fragezeichen durchs Geisterschloss schlich oder mit Bibi Blocksberg die Schwarzen Vier jagte, zog es Dich mit Jan Tenner in unbekannte Dimensionen. Grund genug für einen Tausch. Bibi gegen Jan, Hexenbesen gegen Raumschiff. Natürlich durfte niemand wissen, dass Du Dir heimlich meine „Mädchenkassetten“ ausgeliehen hast. Und glaube mir: Bis heute habe ich das auch niemandem verraten.
Und wie war das eigentlich damals mit Deiner Garfield-Phase? Als Dein Kinderzimmer renoviert wurde, prangte der fette Kater plötzlich überall: Garfield-Tapete, Garfield-Bettwäsche, Garfield-Comics – gefühlt gab es keinen Platz mehr in Deinen zehn Quadratmetern, auf denen nicht das orange Ungetüm zu sehen war. Apropos sehen: Wenn ich heute an unsere gemeinsame Zeit zurückdenke, werde ich fast ein wenig melancholisch. Bilder von Zehnerleis, von sauren Schlangen zu fünf Pfennig, von heißen Bodenfliesen im Freibad, von unserer Bande, von wilden Radtouren durch die Wohnsiedlung, von Klingelputzen und Aufzugfahren im Hochhaus tauchen vor meinem inneren Auge auf.
Und Bilder von Pferdebüchern, die Du mir zu verschiedenen Geburtstagen geschenkt hast. Eines davon habe ich neulich bei ebay versteigert. Beim Erstellen der Auktion ist mir Deine Widmung ins Auge gefallen „Zum Geburtstag von Andreas“ stand da und ich gebe zu: Das hat mich verdammt rührselig gemacht. So rührselig, dass ich die Aktion nach dem ersten Gebot und vor Ablauf beinahe vorzeitig beendet hätte. Artikel beschädigt und so… Am Ende habe ich mich jedoch dazu entschlossen, das Buch gehen zu lassen. Obwohl mir das richtig schwer gefallen ist. Ich sehe noch die feinen Linien, die Deine Mutter mit Bleistift vorgezogen hatte, damit Du sauber und ordentlich in mein Geschenk schreibst. Und plötzlich ist da dieser Zeitraffer und wir sind irgendwie wilder Kerl und wildes Huhn 1987.
Ausmistexperten raten oft, ein paar Lieblingsdinge stellvertretend für das große Ganze aufzuheben. Oder ein Foto von den Besitztümern zu machen, bevor man diese weggibt. Variante zwei fällt mir persönlich nicht leicht. Aufgrund der Internetauktion habe ich nun „zwangsweise“ ein Bild von meinem Ex-Buch. Verglichen mit den inneren Bildern, die mich an unseren Lebensabschnitt erinnern, verblasst diese Aufnahme allerdings.
Ach ja, falls Du diese Zeilen hier liest, dann melde Dich doch einmal bei mir. Vielleicht können wir zusammen in alten Erinnerungen schwelgen und Dinge auffrischen, die ohnehin nur mit dem Herzen gut zu sehen sind.
Ich denke an Dich.
Deine P.