Hobby & Freizeit
Kommentare 13

Ein Klavier, ein Klavier

Man müsste Klavier spielen können. Dieser Satz beschreibt eine unerfüllte Sehnsucht von mir, den nagenden Schmerz in meiner Teenagerbrust, die verpasste Chance, das musikalische Trauma, den – ok, das ist jetzt vielleicht ein wenig dick aufgetragen. Fakt ist jedoch: Das Klavier war meine erste große Liebe. Jedenfalls beinahe. Werte Eltern, ihr müsst jetzt ganz stark sein, aber die Wahrheit ist: Am ersten Liebeskummer meines Lebens wart ihr aktiv beteiligt.

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum
Wie viele Jahre habe ich mir nichts mehr gewünscht, als in die Tasten zu hauen. Wie sehr habe ich damals meine Schulfreundin Monika beneidet, die mit ihren schlanken, grazilen Fingern nur so über den Schulflügel schwebte. Und wie oft habe ich gehofft, es ihr irgendwann gleichtun zu können. Doch dann zog statt des Objekts der Begierde eine Orgel in mein Kinderzimmer ein, groß und braun und schwerfällig. Die könne man – im Gegensatz zum Klavier – in der Lautstärke regulieren, hieß es, das störe die Nachbarn nicht. Was dann folgte, waren sowohl Jahre unterdrückter Leidenschaft als auch Jahre voller Erfolge. Eigenlob stinkt, heißt es. Aber tatsächlich flogen meine Finger ebenfalls nur so über das Musikinstrument, bot man mir eines Tages an, auf eine große Kirchenorgel umzusteigen. Aber in meinem Herzen war ich nie richtig warm mit diesem Spiel geworden und machte Schluss. Schluss auf dem Höhepunkt, Schluss an dem Punkt, an dem die Professionalisierung gerade erst eingesetzt hatte. Was fehlte, war die Leidenschaft, war der Bezug zu einem – in meinen Augen – klassischen Instrument. Letzteres versuchte ich noch eine Weile zu kompensieren, wechselte Tasten gegen Saiten, Soloprogramm gegen Orchester und klemmte mir eine Geige unters Kinn. Zugegeben, ein wunderschönes, handgearbeitetes Stück. Ein kleines Juwel, das am Ende des Tages mein Herz allerdings auch nie wirklich erreichen sollte.

Die besondere Note: loslassen
Seit einigen Jahren habe ich weder Orgel noch Geige angefasst. Bis heute komme ich jedoch an keinem Klavier vorbei, ohne die Tasten zu berühren. Bis heute bin ich nicht vollkommen frei von dem nagenden Gefühl, ES doch noch irgendwann wahr zu machen. Bis heute gewinnt die Sehnsucht durch Stücke wie dieses wieder Land bei mir.

Vor ein paar Tagen habe ich sämtliche Orgel- und Geigennoten bei ebay eingestellt. Wie ein Spiegel führte mir ihr Besitz permanent meinen ungestillten Traum vor Augen, gingen „Wenn-dann-Sätze“ und „Hätte-ich-mal-Konstruktionen“ durch meinen Kopf.

Mit jedem verkauften Heft lasse ich diese ein wenig ziehen, verschafft mir das Verschwinden der Dinge ein Gefühl der Erleichterung. Und ich schaffe mir die innere und äußere Freiheit, um meinem Herzklopfen irgendwann doch noch zu folgen: Once.

13 Kommentare

  1. Falls es dich doch noch einmal packt, kannst du dir ja Noten besorgen 😉 Mein Saxophon liegt auch seit fast einem Jahrzehnt unberührt herum – ich hatte noch nicht das Herz, es zu verkaufen.

    Noch habe ich ja Flöte und Gitarre, wenn es mich überkommt (und das tut es immer wieder)

    • Minimalismus21 sagt

      Ja, das denke ich auch.
      Zudem sind wir in der – das muss man ehrlich sagen – privilegierten Situation, solche Dinge im Grunde jederzeit nachkaufen zu können.

      Lass uns zusammen musizieren – sobald ich mich durchgerungen habe, ein Klavier zu „shoppen“ :-).

  2. Na immerhin weißt Du schon lange, was Du willst. Bei mir war es schwieriger und so wurde es ein Keyboard Marke „Tischhupe“ und als beim Schülerkonzert die Omas schunkelten, da war das dem pubertierenden Buben dann sowas von zu viel, das war das Ende. Erst Jahre später entdeckte ich in einem Laden ein Stage Piano und musste es unbedingt haben. Das ist nun auch schon wieder um die 13 Jahre her und seitdem ist das Leben mehrmals komplett anders geworden – aber ein Klavier war immer dabei. Noten hingegen oft nicht.

    • Minimalismus21 sagt

      Ich beneide Dich um Deine musikalische Konstante – Danke für diesen schönen Kommentar!

    • Minimalismus21 sagt

      Ein Notenheft ging gestern raus, fünf weitere habe ich soeben versandfertig gemacht.

      Es fühlt sich gut und richtig und befreiend an. Mein Herz macht Platz.
      Ob für ein Klavier oder für etwas ganz anderes? Man wird sehen :-).

  3. „Man müsste Klavier spielen können. Dieser Satz beschreibt eine unerfüllte Sehnsucht von mir, den nagenden Schmerz in meiner Teenagerbrust, die verpasste Chance, das musikalische Trauma, den – ok, das ist jetzt vielleicht ein wenig dick aufgetragen. Fakt ist jedoch: Das Klavier war meine erste große Liebe. Jedenfalls beinahe. Werte Eltern, ihr müsst jetzt ganz stark sein, aber die Wahrheit ist: Am ersten Liebeskummer meines Lebens wart ihr aktiv beteiligt.“

    Wow! Man merkt, das kommt von Herzen.

    Als ich mit meiner Liebsten im letzten Sommer, wenige Tage vor ihrem Abflug an einem Flügel saß und sie mich animierte „wenigstens“ mitzuspielen.
    … da kamen mir ganz ähnliche Gedanken und ehrlich gesagt auch die Tränen.

    Was in Kindern alles schlummert und oft genug nicht ans Tageslicht und wachsen darf.

    Aber dennoch höre ich gerne das Lied: http://www.youtube.com/watch?v=UtFIYJq2jQw#t=17

    😀

    Vielen Dank für diesen so schön geschrieben Text.

  4. Nina sagt

    Darf ich fragen…..worauf wartest Du? Eine Sehnsucht, die sich so endlos lange und hartnäckig in Deinem Herzen und Deiner Seele festgesetzt hat, hat es verdient, gehört UND erfüllt zu werden. Geh „Klavier shoppen“. Ich glaube nicht, daß Du es bereuen wirst. Und im „schlimmsten“ Falle…auch Klaviere wird man bei Ebay wieder los ;-)))

    • Minimalismus21 sagt

      Liebe Nina,

      ja, Du hast recht. Und dennoch ist die Umsetzung nicht so einfach.

      Oder besser gesagt: Momentan ist mein Leben zu voll mit anderen Dingen, die mir keine Zeit fürs Klavierspielen lassen. Dinge zu besitzen, sie jedoch – aus welchem Grund auch immer – kaum bis gar nicht zu nutzen, das wollte ich mit meiner Form von Minimalismus gerade vermeiden.

      Ich hoffe, ein größeres Projekt dieses Jahr abschließen zu können. Dann stellt sich die Frage sicherlich noch einmal neu :-).

  5. 72 Stunden

    Worauf du wartest, hab ich mich auch gefragt beim Lesen. Ich hätte das Klavier schon längst. Wir haben eins. Entweder die Träume leben oder ganz verabschieden. Was man in 72 Stunden nach einer Idee nicht umsetzt, macht man meist nicht mehr. Also: einfach schneller werden.

    • Minimalismus21 sagt

      Liebe Tanja,

      ich mache das mittlerweile beim Ausmisten so: Wenn mich der Flow packt und ich die Zeit habe, nehme ich das Gefühl mit. Wirkt tatsächlich Wunder. Warte ich zu lange, verliere ich den Drive.

      Beim Thema „Klavier“ ist das für mich nicht ganz dasselbe: Es entstehen viele Fragen, darunter „Habe ich das Geld und die Zeit dafür“, „Will und muss ich Unterricht nehmen“ etc. So eine Anschaffung kann ich nicht in 72 Stunden tätigen. Vielleicht zeigt das unbewusst auch etwas anderes: Dass ich mir im Grunde gar nicht mehr so 100%ig sicher bin.

      Mein Gefühl: Alles im Leben hat seine Zeit. Vielleicht ist sie hier schon überschritten – und/oder es haben sich neue Dinge breitgemacht, die aktuell volle Aufmerksamkeit fordern.

      Danke für Deine Fragen – Sie waren ein nochmaliger Denkanstoß für mich.

  6. Ein Klavier steht schon lange bei uns im Wohnzimmer. Meine Tochter spielt erst seit zwei Jahren. Ich habe bisher nur ein bisschen herumgeklimpert.

    Es ist auch immer ein Kindheitstraum von mir gewesen, sehr gut Klavier zu spielen. Ich hatte damals auch Unterricht, der leider eher in ein Trauma war. Ich habe dann Geige gelernt, aber das war nie MEIN Instrument.

    Und jetzt habe ich seit Januar wieder Klaiverunterricht, bei einem so tollen Lehrer wie ich ihn noch nie hatte. Und es macht so viel Spaß. Ich übe manchmal bis zu einer Stunde Klavier und muss mich dann zwingen aufzuhören, weil es noch anderes zu erledigen gibt.

    Ich kann dir nur sagen, es ist nie zu spät, seine Träume doch noch zu leben.

    Lieben Gruß
    Birtgit

    • Liebe Birgit,

      vielen Dank für Deinen Kommentar, der mich sehr berührt hat.

      Die Folge: Herr M21er hat gestern seine Schwester gefragt, ob ihr altes Klavier nach wie vor zu haben ist. Es ist. Jetzt bin ich innerlich sehr am kämpfen…

      Ich müsste zwei Bücherregale leermachen, was ohnehin mein Ziel ist, um den relevanten Platz zu schaffen. Soll ich meinen Traum wieder aufleben lassen? Ich werde berichten.

      Grübelnde Grüße
      M21

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert