Alternative Lebensformen haben viele Gesichter. Sich für einen Alltag jenseits der Norm zu entscheiden, resultiert aus unterschiedlichen Gründen. Eine Gruppenausstellung im Münchner Stadtmuseum versucht, den sog. „Gegenkulturen“ durch internationale Foto- und Videoarbeiten nachzuspüren. Mit fragwürdigem Erfolg.
Sie sind ökologisch orientierte Selbstversorger, Hippies, Einsiedler, Pilger und Punks, sind Angehörige eines Klosters oder einer religiösen Glaubensgemeinschaft. Ihnen allen gemeinsam ist der Wunsch, aus der Leistungs- und Überflussgesellschaft auszubrechen. Ihr Ziel: eine bessere Welt finden. „Werthaltigkeit, Sinnhaftigkeit und Glück“ lauten die Werte, die im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung abhandengekommen zu sein scheinen. Die Protagonisten der hier gezeigten Exponate verkörpern Selbstbestimmung, Spiritualität, Einfachheit und innere Freiheit. So steht es zumindest auf der Homepage des Museums. Doch beim Betrachter kommen diese Ideale nur schwer an.
Alternative Lebensformen als lebensfremdes Klischee
Da sitzen jugendliche Protestler mit Irokesenschnitt auf einer Festivalwiese zwischen Unrat und Schlamm. Dort wird ein Schulkind von einem Lehrer im Klassenzimmer verprügelt. Hier steht ein nackter Mann im Wald, ein kleiner Junge trinkt Milch aus dem Euter einer Ziege, eine Gruppe von Bauwagenbewohnern gewährt Einblick in die eigenen vier Wände auf Rädern. Was fehlt, ist eine Hilfestellung und mit ihr die Einordnung der Arbeiten durch erklärende Hintergrundinformationen. Denn die abgebildeten Lebensentwürfe sind durchaus kritisch zu sehen. Die Schlagwörter „alternativ“ bzw. „Einfachheit“ gehen – entgegen dem Titel der Ausstellung – nicht in jedem Fall mit „Luxus“ einher. Sich außerhalb des Mainstreams zu bewegen, zieht oftmals Zwänge der anderen Art nach sich, wie das Beispiel der streng nach christlichen Regeln lebenden „Hutterer“ zeigt – eine Werkgruppe kanadischer Wiedertäufer. Utopia heißt an dieser Stelle: Autorität, Züchtigung und patriarchalische Strukturen. Eine bessere Welt? Wohl kaum.
Auch wo der Rückzug in Einfachheit und Einsamkeit aufgrund persönlicher Lebenskrisen, Krankheiten oder Trennungen erfolgte, fällt die Identifikation mitunter schwer. Lebensformen jenseits der Norm als erstrebenswerte Alternative anzuerkennen heißt auch, Identifikationsräume zu schaffen, einen lebenswerten und praktikablen Raum außerhalb des Konventionellen etwa in einer Postwachstumsökonomie anzubieten. Diese Chance wurde vertan.
Was bleibt, ist das Klischee vom Aussteigen als Extrem und nicht der Anreiz, sich selbst in einem ersten Schritt gegen überflüssigen Konsum und die schwindelerregende Beschleunigung des Alltags zu stemmen.
Luxus der Einfachheit. Lebensformen jenseits der Norm
Noch bis 22. Februar im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1.
Öffnungszeiten und Preise findet ihr hier.
Ich bin ganz deiner Meinung. Ich war vor einer Woche in der Ausstellung und sehr enttäuscht. Eigentlich kann man das ganze auf drei Gruppen zuordnen: Hippies (total von der Rolle), Sekte (mit sehr fragwürdigen Regeln und Beweggründen), Klosterleben/Eremiten (gibt’s doch schon seit 1000 Jahren!). Hast du gesehen, dass der nackte Mann ein Hakenkreuz auf dem Arm hatte? Warum stellt man so ein Foto in so einer Ausstellung aus?
Liebe Magdalena,
ja, das haben wir uns auch gefragt!
Grundsätzlich spricht nichts dagegen, in einem Projekt wie diesem zu polarisieren. Allerdings sollte man dem Betrachter dann auch genügend Infos zur kritischen Diskussion zur Verfügung stellen. Schade, dass man nur marginale Infos über die Porträtierten erhält.
Eine gute Idee mit unbefriedigender Umsetzung.
LG M21