„Alles was du besitzt, besitzt irgendwann dich.“
Es gibt nur wenig Zitate, die das Verhältnis zu meinem Hab und Gut treffend(er) beschreiben. Kaum zu glauben, dass es über 15 Jahre her ist, seit Fight Club über die Kinoleinwand flimmerte. Damals war ich noch weit davon entfernt, mein Leben minimalistisch zu gestalten: Ich steckte mitten im Studium. Meine finanzielle Situation erlaubte mir weder große materielle Sprünge noch übermäßige Hamsterkäufe. Schnäppchenjagden auf dem Flohmarkt waren ein probates Mittel, um meinen kargen Geldbeutel zu schonen. Retrospektiv betrachtet stellen sie eine wichtige Phase meiner Konsumsozialisation dar, die ich nicht missen möchte. Alles hat eben seine Zeit.
Was ich 1999 noch nicht wusste: Alles was du hast, hat irgendwann dich. Was ich mich kurz vor der Jahrtausendwende noch nicht fragte: Besitze ich die Dinge oder besitzen die Dinge mich? Und was ich erst 2015 lernte: Man kann die Dinge nicht konservieren. Eine Trilogie der Erkenntnisse.
1. Alles was du hast, hat irgendwann dich.
Jede Minimalistin und jeder Minimalist weiß sofort, was ich meine. Nehmen wir dennoch ein Paradebeispiel wie die zerbrechliche Porzellansammlung aus dem Nachlass von Person x. Sie will regelmäßig vorsichtig verrückt und mit Fingerspitzengefühl entstaubt werden. Auf einer – wie wir Geisteswissenschaftler so schön zu sagen pflegen – „Metaebene“ steht sie „pars pro toto“ für die Unmengen an Krempel, die bereits qua reiner Existenz regelmäßig irgendetwas von einem fordern: Pflege, Zeit, Nerven, Geduld etc. Kurzum: Deine Aufmerksamkeit. Und die könnten wir anderweitig meist weitaus besser verteilen. Das Sprichwort „Es frisst ja kein Brot!“ verkommt damit zur Ausrede, um eigentlich unnütze Dinge anzuschaffen oder zu horten.
@Aussortierer, Entrümpler, Anti-Horter: Nackenhaare down ;-).
2. Besitze ich die Dinge oder besitzen die Dinge mich?
= die logische Frage, die sich spätestens jetzt stellt. Fakt ist: Manchmal wachsen einem die Dinge nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtliche Sinne über den Kopf. Und manchmal merkt man das erst, wenn man das Steuer aus der Hand gegeben hat. Wer zu viel besitzt, sitzt oft nicht mehr im Fahrersitz. Er bestimmt nicht sein Leben, sondern wird bestimmt. Alles nur Platitüden? Keinesweg!
Wenn ich mein Eigentum nicht mehr adäquat nutzen kann, weil mir – wie in meinem Fall – oftmals schlichtweg die Zeit fehlt, mutieren etwa die Sammeltassen – zum Glück nicht in meinem Haushalt – zu einer lähmenden Fußfessel. Bei jedem Schritt muss ich extrem viel Kraft aufwenden, um einen Fuß vor den anderen zu setzen und mich durch den Morast von Ballast zu kämpfen. Mit Leichtigkeit hat das nicht mehr viel zu tun. Die Dinge mutieren zu Mauern eines allzu sichtbaren Labyrinthes, in dem ich wie der Minotaurus umherirre – unfähig, den Ausgang zu finden. Kommen Sucht und Zwang dazu, Probleme mit Nicht-Wegwerfen und Horten, versinkt das Leben schlimmstenfalls in völliger Desorganisation bis hin zum Messie-Syndrom.
3. Man kann die Dinge nicht konservieren.
Ich hatte es ja schon an anderer Stelle geschrieben: 2015 endete für mich die Doppelbelastung durch Vollzeitjob und Dissertationsprojekt. Nach vielen Jahren, in denen ich geistig und arbeitstechnisch mehr als zweigleisig gefahren bin, kehrt endlich wieder Luft in mein Leben und zum Durchatmen zurück. Letzteres gelingt mir am besten, wenn ich mir den notwendigen Freiraum dafür schaffe. Aber dieser Raum hat es in sich. Denn de facto ist er noch mit Sachen gefüllt, die ich mir aufgehoben habe. Bücher, die ich lesen, Musik, die ich hören, Filme, die ich sehen wollte. Für die Zeit nach der Promotion. Für „Wenn-dann-Momente“.
Jetzt sind die ersten dieser Momente da. Und plötzlich spüre ich: Ich habe mich verändert. Habe neue Erfahrungen gesammelt, andere Interessen entwickelt, Schwerpunkte verschoben. Das ist schmerzhaft und schön zugleich. Schmerzhaft, weil ich viel stärker spüre, dass man im Leben tatsächlich nichts festhalten kann. Schmerzhaft und schön, weil sich die Welt stetig weitergedreht hat, Strömungen und Themen kamen und gingen – egal, wie sehr ich mich in meinem straff durchorganisiertem Alltag zwischen Uni- und Medienwelt eingeigelt hatte. Schön, weil ich verstanden habe, dass das Leben bunt, vielfältig, neu, anders ist. Zumindest, wenn man sich von alten Zöpfen trennen kann.
Alles, was du hast, musst du irgendwann loslassen.
[…] „Alles, was du hast, musst du irgendwann loslassen.“ So schlussfolgert M21 am Ende. Und das lässt sich nicht nur auf Gegenstände übertragen. […]
Danke für den schönen Beitrag. Gerade im letzten Punkt bringst du es wunderbar auf den Punkt, was ich bisher nie richtig fassen konnte. Manchmal würde ich so gerne konservieren.
Liebe Jessica,
ja, manchmal hilft es, die Dinge zu verbalisieren. Sobald man ein Wort dafür hat – oder mehrere – fällt irgendwie auch die Auseinandersetzung damit leichter.
Manchmal dauert es jedoch eine Weile, um an diesen Punkt zu kommen.
Für mich persönlich ist das Schreiben wie eine Art Katalysator auf meinem minimalistischen Weg :-).
Liebe Grüße und vielen Dank für Deine Rückmeldung
M21
Ich bin über eine Freundin hierhergekommen, die gerade eine schwierige Lebensphase durchmacht: Trennung von Mann und Kindern, Job verloren.
Seit dem Tag, an dem sie aus dem riesigen gemeinsamen Haus auszog, war sie überzeugt, mit ihren Besitztümern nahe am Messietum rangiert zu haben. Vier Jahre lang hat sie sich mit Ausmisten beschäftigt. War überzeugt, ihre schlimme Kindheit mit dem Wegschmeißen von Erinnerungen aufzuarbeiten. War der Meinung, näher zu sich selbst zu finden, indem sie ihre Umgebung reduziert. Ihren Job hat sie dabei weiter gemacht: Marketing bei einer Firma, die von Profit-, Macht- und Geltungs-Besessenen ohne jede Moral regiert wird, und deren Chefs sie aus tiefster Seele hasst.
Sie ist in diesen vier Jahren dreimal umgezogen in immer kleinere Wohnungen. Am Ende hat sie die Tagebücher, die sie über das Ausmisten geführt hat, als belastenden Tand auf den Müll geschmissen und den Computer, mit dem sie deinen Blog gelesen hat, hat sie verschenkt. Sie hat sich die Haare nach ihrem Rauswurf ganz kurz geschnitten und wäscht sie sich mit der gleichen Kernseife, mit der sie ihre zwei Hosen, zwei Pullis ihre je fünf Paar Socken und Unterwäschesets wäscht. Sie saß vor zwei Wochen in der komplett leergeräumten Wohnung und wusste nicht, was sie noch wegschmeißen könnte.
In der ganzen Zeit hat sie nicht mit ihrem Exmann gesprochen, um aufzuarbeiten. Sie sah ihre Kinder selten. Und hat auch mit denen nicht wirklich gesprochen. Am Verhältnis zu ihren Eltern hat sie nie in einem Gespräch mit Ihnen gearbeitet.
Aber sie hatte ja ihren Minimalismus. Nein, der Minimalismus hatte sie.
Vor einigen Wochen kam mitten im Nichts ihrer leergeräumten Einzimmerwohnung der Zusammenbruch. Endlich. Sie durchlebt eine schwere Depression. Und mit dem Ausmistwahn hat sie sich jahrelang nur abgelenkt.
Für manchen Minimalisten wäre es vermutlich ratsam, beim Ausmisten auch gleich den Minimalismus in die Tonne zu klopfen.