Müll. Überall Müll. Auf der gesamten Straße. Soweit das Auge reicht. In allen Formen und Farben, eine Flut von Flaschen und Fetzen, ein undefinierbarer Flickenteppich aus Kunststoff. Die Kamera fängt die Bewegung einer Frau ein, die sich ihren Weg durch die triste Landschaft und den unüberschaubaren Unrat bahnt. Ein Schwenk nach oben und ein weibliches Gesicht sowie weitere Teile der Umgebung sind zu sehen – ein Elendsviertel auf den Philippinen. Mittendrin: verbalisierte Hoffnungslosigkeit. Meine Mutter hat immer gesagt: Wenn ich nicht gut lerne, werde ich als Müllsammlerin enden. Über die Mitmenschen in ihrer Umgebung verliert die Einheimische ernüchternde Worte. Sie durchwühlen den ganzen Tag Müll. Er ist ihre Existenzgrundlage. Etwas anderes haben sie nicht gelernt. […] Die Einnahmen auf den Philippinen sind sehr gering. Die Arbeit als Content Moderator macht es uns möglich, hier zu leben.
Wie viel Bitterkeit und Ironie allein in dieser Szene steckt, versteht der Zuschauer erst später. Denn auch die Philippinerin hat Müll weggeräumt. Sehr viel Müll. Der lässt sich zwar nicht in Tonnen bemessen, wie es die Umweltorganisation Greenpeace in ihrem Projekt gegen Einwegplastik vor Ort gemacht hat. Fällt aber dennoch massiv ins Gewicht. Die Interviewpartnerin ist eine von fünf kommerziellen Content Moderatoren, die im Debütfilm von Hans Block und Moritz Riesewieck zu Wort kommen; stellvertretend für Zehntausende. Sie sind die Gesichter einer Schattenindustrie, die die sozialen Netzwerke überprüfen. Irgendwo in Manila, ungesehen und unbemerkt vom Rest der Welt. Internetgiganten wie Facebook und Google haben diese Arbeit an Drittfirmen ausgelagert. Die Gehälter kommen direkt von einer hiesigen Outsourcing-Firma, heißt es in der Doku. Sie porträtiert Menschen, die eigentlich im Verborgenen bleiben müssen, aber weitreichende (inhaltliche) Entscheidungen mit globalen Auswirkungen treffen. Was die Zeit in der Schattenindustrie mit ihnen gemacht hat, lässt sich stellenweise nur schwer ertragen.
Ignore or delete
Ich sichte 25.000 Bilder am Tag, bilanziert ein männlicher Protagonist. Die Aufgabe eines Content Moderators ist es, den Dreck wegzumachen. Das ist unser einziges Ziel. Videos, Bilder, Texte: Ignore or delete. Ignorieren oder löschen. Dazwischen gibt es nichts. Nein, das hier ist nicht Digital Detox. Aber dennoch geht es um digitales Entrümpeln. Und das hat Folgen: Was die Nutzer einer App glauben oder denken, hängt von den Content Moderatoren ab oder genauer gesagt von dem, was nicht der Zensur zum Opfer fällt. Das verändert nicht nur unsere Wirklichkeit und unseren Blick auf die Welt, sondern auch die Wahrnehmung jedes Einzelnen. Es entscheidet, was von historischem Nutzen ist wie das Bild eines Mädchens, das nackt und verbrannt aus einer Napalmwolke flieht. Für viele Generationen das Symbol des Vietnamkrieges.
In einem Bürobunker in Manila kennt man dagegen den historischen Hintergrund nicht. Deleted, weil eine Minderjährige mit entblößten Genitalien zu sehen ist. Wir müssen verhindern, dass sich die soziale Sünde in den Netzwerken ausbreitet, sagt eine der zentralen Interviewpartnerinnen – gefangen zwischen ihrer bedingungslosen, nahezu aufopferungsvollen Hingabe als Angestellte und der zunehmenden Abneigung gegenüber ihrem Tagewerk. Denn sie ist der Maßstab für Zensur oder Sichtbarkeit, für das, was auf unseren Bildschirmen erscheint oder eben nicht. Algorithmen und künstliche Intelligenz noch gar nicht mitgedacht.
Wo und wann immer Menschen kommunizieren, hat es selbstverständlich Zensur gegeben. Lange vor dem digitalen Zeitalter. Und gibt es noch. Block und Riesewieck rücken allerdings die Frage in den Mittelpunk, wie groß der Einfluss amerikanischer Unternehmen wie Facebook, Twitter, YouTube und Co. in dieser kommunikativen Gemengelage mittlerweile ist. Denn längst sind es die Firmen, die von ihrem Hausrecht auf zahlreichen Plattformen Gebrauch machen und damit entscheiden, was Gesetz ist, was rechtswidrig und was nicht. Nicht alles, was hochgeladen wird, bleibt online. Inhalte, die bspw. Terrorismus und Cybermobbing fördern, werden von den Scharfschützen entfernt, ebenso Kunst und Satire. Ignore, delete. Nicht alles, was in einem Land zu sehen ist, muss es in einem anderen sein. Noch dazu, wenn Regierungen Absprachen mit Tech-Unternehmen über die (Nicht-)Verbreitung bestimmter Inhalte treffen und damit drohen, einen bestimmten Dienst in ihrem Land komplett abzustellen. User und Business will im Silicon Valley schließlich niemand verlieren.
Eigentlich wollte ich sofort wieder hinschmeißen, erzählt dagegen eine Frau, die ihre schlimmsten Erlebnisse und Bilder im Rahmen ihrer Arbeit schildert. Bilder, die bis auf wenige Ausnahmen im Film nicht zu sehen sind. Doch schnell ist klar: Die sozialen Netzwerke haben die Schleusen für die Welt geöffnet. Mit allen Vor- und Nachteilen. Durch diese Schleusen läuft viel wunderbarer Content rein, entstehen großartige Möglichkeiten zur Vernetzung, zur Kommunikation, zum Austausch mit anderen. Möglichkeiten, ohne die zum Beispiel ein Blog wie unserer und die zahlreicher weiterer minimalistischer Wegbegleiter nicht in dieser Form möglich wären.
Doch auch die sogenannte „Empörungskultur“ bahnt sich mitunter in erschreckendem Ausmaß ihren Weg, gepaart mit Hate Speech und Fake News. Was erweckt die Aufmerksamkeit der Menschen? Was fesselt und was hält sie? Und was bringt sie dazu, Dinge zu teilen? Empörung eignet sich dazu besonders gut, resümiert Tristan Harris, ehemaliger Google Design Ethiker. Verbreitet wird, was am empörendsten ist, was am polarisierenden und furchtbarsten ist. Und hinter der Idee der sozialen Netzwerke? Junge, weiße Ingenieure, deren Entscheidungen […] Auswirkungen auf das Denken von zwei Milliarden Menschen haben, ergänzt Harris.
Who does the clean up work on their platforms? Im Alltag machen sich Nutzer wohl kaum Gedanken darüber. The Cleaners will – so steht es in der Pressemitteilung – vor Augen führen, wohin wir steuern, wenn wir die Verantwortung für eine digitale Öffentlichkeit Privatunternehmen überlassen, […] wenn eine Politik auf dem Vormarsch ist, die einfach beseitigen oder ausgrenzen lässt, wer oder was „stört“. Facebook, Twitter und YouTube selbst haben alle Interviewanfragen unbeantwortet gelassen, heißt es im Abspann. Alle Content Moderatoren, die in den rund 90 Minuten zu sehen sind, haben den Job zum Zeitpunkt der Ausstrahlung verlassen. Auch die junge Philippinerin. Die Zugangskarte aus Plastik zu ihrem Office hat sie am Strand abgelegt. Delete.
Alle Zitate stammen – soweit nicht anders angegeben – aus The Cleaners. Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von kinofreund.com.
The Cleaners – Im Schatten der Netzwelt
Regie/ Kamera: Hans Block/ Moritz Riesewick
Land: Deutschland/ Brasilien
Sprache: Original mit dt. Untertiteln/ dt. Voiceover
Verleih: farbfilm verleih
Kinostart: 17.5.2018
Länge: 88 Minuten
Weitere Infos zur Kino-Dokumentation gibt es auf der Webseite der Filmmacher unter gebrueder-beetz.de
Für die Preview bedanken wir uns bei der Entertainment Kombinat GmbH, die uns außerdem drei Kinopakete (zwei Karten plus Buch Digitale Drecksarbeit. Wie uns Facebook & Co. von dem Bösen erlösen von Moritz Riesewieck) zur Verfügung stellt.
Was Ihr tun müsst? Hinterlasst uns bis zum 21. Mai 2018 einen Kommentar samt E-Mail-Adresse (nicht öffentlich sichtbar!) auf dem Blog oder bei Facebook, warum Ihr die Doku sehen wollt. Unter allen Antworten zieht die Glücksfee die GewinnerInnen.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Umtausch oder Barauszahlung des Gewinns sind nicht möglich. Teilnahme ab 18 Jahren.
Ich habe schon vor einiger Zeit etwas über den Film gelesen, bis dahin hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wer wo was zensiert und finde das Buch und den Film sehr interessant, drum mache ich gerne beim Gewinnspiel mit.
LG Elke
Zeit der Utopien war schon ein sehr ausdrucksstarker Film der einen zum Nachdenken angeregt hat. Ich würde den Film sehr gerne schauen! Der Nutzer weiß so wenig und wird er nicht informiert – bleibt er ahnungslos. Das passiert in so unendlichen vielen Bereichen. Aufklärung! Ich würde gerne bei dem Gewinnspiel mitmachen. Vielen Dank! Herzliche Grüße Aileen
Ich weiß einfach schlicht zu wenig über das Thema und würde mich darüber in dem Film gerne informieren.
Über Zensur kann man einfach nicht genug wissen
Möchte mich tiefer in dieses unfassbar interessante Thema einarbeiten und dazu wäre ein Kinobesuch und die Lektüre richtig gut geeignet. Eine ausführliche Rezession von meiner Wenigkeit ist selbstverständlich. Würde mich sehr freuen. Beste Grüße, Benjamin
Ich möchte unbedingt den Film sehen, da mich der Einfluss der digitalen Welt auf unser Leben und das politische Weltgeschehen brennend interessiert. Ich will verstehen, warum jemand solche Macht nutzt und was es für Folgen für Menschen hat.
Herzlichen Dank für Eure Teilnahme an unserem Gewinnspiel:
Die GewinnerInnen wurden bereits informiert.