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Secondhand, unverpackt, vegan: 3 Tipps für Nürnberg

Ein Besuch in Nürnberg gleicht einem (wirtschaftlichen) Spaziergang durch die Jahrhunderte. Von der mittelalterlichen Handelsmetropole bis zum neuzeitlichen Einkaufszentrum lässt das Stadtbild die (Konsum-)Geschichte vergangener Zeiten lebendig werden.

Wir haben eine Stippvisite in Franken genutzt, um neben historischen Sehenswürdigkeiten drei Adressen für alternativen, nachhaltigeren Konsum aufzusuchen. Getreu unseres Selbstverständnisses mit den Schwerpunkten Bio, Secondhand, Regionales sowie unverpackte, plastikfreie Lösungen. Eine Extraportion Essen & Trinken gibt’s als Nachschlag obenauf. Wohl bekommt’s!

1. VINTY’S second hand mode (Fürtherstr. 74/ 76, U1 Bärenschanze)

„Weniger neu, mehr gebraucht“ lautet mein persönliches Motto, das der eine oder andere von Euch schon von unserem Instagram-Account kennen dürfte. Im Künstlerviertel Gostenhof kommen Liebhaber von gebrauchten Schätzen und echter Vintagemode voll auf ihre Kosten: Auf 330 m² bietet Vinty`s eine breite Auswahl an Kleidung aus zweiter Hand für Frauen, Männer und Kinder, die von Montag bis Samstag (11.00-18.30 Uhr/ 11.00-16.00 Uhr) zum stundenlangen Stöbern und Anprobieren einlädt.

Kleiderspenden werden zu den regulären Öffnungszeiten angenommen

Träger der deutschlandweiten Filialen ist die aktion hoffnung, eine kirchliche Hilfsorganisation des Bistums Augsburg sowie des katholischen Hilfswerkes missio in München; seit 30 Jahren unterstützt die Organisation weltweite Entwicklungsprojekte.

Weitere Infos unter vintys.de.

Dem leckeren Kuchen in Bio- und Kaffee in FairTrade-Qualität konnten wir nicht widerstehen

Unser Fazit: Akute Kaufrausch-Gefahr für Minimalistinnen und Minimalisten! Top Ware samt großer Auswahl, hilfsbereites und freundliches Personal, tolle Einzelstücke plus monatliche Fashion-Specials, witzige Instagram-Aktionen sowie leckere FairTrade-Produkte und Getränke. Freitags: hausgemachter Biokuchen in der Retro-Café-Ecke.

2. ZeroHero – ehrlich & unverpackt (Obere Kanalstraße 11a, U1 Gostenhof)

Unverpackte Lebensmittel, tägliche Bedarfsgüter, Bioqualität: Thomas (links oben im Bild) und Arthur sind zwei moderne Konsumhelden, die in ihrem Laden auf ein ökologisches Konzept mit hohem Qualitätsanspruch sowie auf regionale Erzeugnisse setzen. Seine Entstehung verdankt ZeroHero einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, die den beiden Gründern 2017 gleichermaßen zu Publicity und zur Finanzierung verhalf.

Wiegen, befüllen, bezahlen: Und das ganz ohne unnötige Wegwerfverpackungen

Das Ergebnis: Ein im positiven Sinne  stylischer Szeneladen (MO-SA 10.00-19.00 Uhr/ 10.00-16.00 Uhr), der Thomas` Hintergrund als Werbetechniker erahnen lässt, mit einem breiten Sortiment von rund 500 Produkten. Sie können auf der Webseite u.a. nach Herkunft und fairer Produktionsweise geclustert werden.

Weitere Infos unter zerohero-nuernberg.de.

Haushaltsartikel für den täglichen Bedarf. Besonders spacig: Die Zapfsäulen für Waschmittel und Co.

Unser Fazit: Die „Unverpackt-Bewegung“ in Deutschland schlägt immer größere Wellen und zeigt, dass umweltschonendere bzw. müllärmere Konzepte möglich sind und funktionieren. Auch wenn man dafür an der einen oder anderen Stelle etwas tiefer in die Tasche greifen muss.

Maximale Reinheit, minimaler Müll. Haar- und Körperseifen liegen im Trend

Ob Käse oder Kuchen, vegetarisch oder vegan, gluten- oder allergenfrei: Ein Großteil der Ware kommt hier nicht in die Tüte, aber dennoch zum Verbraucher.

Selbst Gewürze können bei ZeroHero grammgenau und lose gekauft werden

Obwohl wir unangemeldet kamen, hat sich Thomas viel Zeit für unsere Fragen genommen. Echte Kundenpflege auf allen Ebenen also. Unseren schicken ZeroHero-Jutebeutel tragen wir seit unserem Besuch voller Stolz in München!

3. Veganel – Restaurant & Pizzeria (Fürtherstr. 43, U1 Gostenhof)

Vegane Gewächse im Veganel?

Nur wenige Gehminuten vom ZeroHero entfernt befindet sich das kleine, aber feine „Green House“ Veganel. Das bio-vegane Angebot reicht von Pizza und Vegadöner über die Açai-Bowl bis hin zum sojafreien Apfelstrudel. Dienstag bis Sonntag kommen Liebhaber von frischen pflanzlichen Zutaten und selbstgebackenen Burgerbrötchen in den Genuss von veganen Leckereien, ausgewählten gluten- und weizenfreien Gerichten sowie fairen Preisen.
Wer es „to go“ mag, kann sich das Essen in plastikfreie Behälter aus nachwachsenden Rohstoffen packen lassen.

Sofern er nicht qua „Unverpackt-Philosophie“ ohnehin mit eigenen Behältern unterwegs ist. Ansonsten bitte wieder zu Empfehlung Nummer 2 klicken.

Weitere Infos unter veganel.de.

Unser Fazit: Nom, nom, nom. Die veganen Burger und der Salat waren so lecker, dass wir das Fotografieren ganz vergessen haben. Gefallen hat uns auch die lockere (studentische) Atmosphäre, das entspannte Publikum und unkomplizierte Zusammensein auf den Hochtischen bis 22.00 Uhr (FR-SA). Weniger Restaurant, mehr Schnellimbiss aber mit maximaler Wiederholungsgarantie beim nächsten Frankenbesuch.

Habt Ihr Ergänzungen für Nürnberg, die Ihr vorstellen möchtet? Kennt Ihr nachhaltigere Konsum-Alternativen in anderen Städten, über die Ihr gerne selbst berichten wollt? Dann meldet Euch doch direkt mit Themenvorschlägen bei uns. Oder hinterlasst einen Kommentar. Wir freuen uns auf und über Feedback!

Stopping. Wie man die Welt anhält

Im Leben ist alles nur geliehen. Was wir besitzen, womit wir uns umgeben, welche Fragen uns beschäftigen – irgendwann beginnt das Loslassen ohnehin ganz von alleine. Ob wir wollen oder nicht. Persönliche Fähigkeiten lassen nach, geliebte Menschen verlassen uns. Bestimmte Themen verlieren an Aktualität und Relevanz, Konsumgüter verschleißen, nutzen sich ab, gehen kaputt. Selbst der eigene Körper – gehegt, gepflegt und manchmal sogar unendlich gedrillt – stellt sich am Ende als vergängliche Hülle heraus, die unser Sein lediglich begrenzt umfasst hat.

Wer kann es uns vor diesem Hintergrund also verdenken, dass wir stets Erfüllung suchen, nach Glück und Zufriedenheit streben, uns messen, vergleichen und darüber bisweilen an unseren eigenen Ansprüchen scheitern. Zumindest, solange noch Zeit dafür ist. Im verzweifelten Bemühen, der Endlichkeit zu entkommen, werden wir zu Klammeraffen: Unfähig, das Gestrige als unabänderlich zu akzeptieren, das Zukünftige mit offenen Armen und offenem Geist zu empfangen und wenigstens für einen Moment im Hier und Jetzt anzukommen. Zulassen bzw. Loslassen fällt schwer. Innerlich und äußerlich.

Das Leben ist jetzt
Dabei gibt es im Grunde keinen anderen Moment als den gegenwärtigen. Wer ihn wenigstens für ein paar Sekunden bewusst erleben will, tut gut daran, sich einmal nur auf den eigenen Atem zu konzentrieren. Doch bringt uns das wirklich in die Gegenwart? Und falls ja: Haben wir dann nicht oftmals an ihr etwas auszusetzen? Die Dokumentation Stopping. Wie man die Welt anhält geht dieser und vielen anderen Fragen nach. Sie begleitet vier Menschen bei ihrem Versuch, sich (wieder) mehr auf das Elementare und den Rückzug auf sich selbst zu konzentrieren. Doch was ist das eigentlich, das Elementare? Welche Dinge uns glücklich machen sollen, sagt die Gesellschaft. Und das sind meistens die falschen, heißt es sinngemäß in einer Sequenz der Doku, die Ruhm, Erfolg und Geld als alleinigen Maßstab für ein erfülltes Leben nicht gelten lassen mag.

Uta möchte in ihrer persönlichen Entwicklung ausgeglichener werden

Was ich habe, was ich bin, ja selbst, welche sozialen Kleider ich trage – all das streift der Kinofilm aus dem Jahr 2015 im Laufe von 90 Minuten ab und mit ihm auch seine Protagonisten: Friedrich, der Anästhesist aus Berlin, Dorothea, die Lektorin aus London, Uta, die Mutter dreier Kinder, und Nico, der Theologe. Vier unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichem Alltag, doch mit einer Gemeinsamkeit: Dem Abschied von Illusionen, die sie sich bislang von ihrem Leben gemacht haben, dem Abschied von permanenter Hektik, von Stress, Leistungsdruck, Perfektion und andauernder Verfügbarkeit. Sie alle suchen die Stille und Ruhe der Meditation, um in ihrem Leben besser gewappnet zu sein.

Auch Theologe Nico ist einer der vier Protagonisten der Doku. Er möchte sein Leben sinnbringend gestalten

Stopping begleitet diese Menschen und lässt den Zuschauer sehr nahe an sie herankommen bei ihrem ehrlichen Wunsch, den unruhigen Geist in den Griff zu bekommen und den Kritiker im Ich abzuschwächen. Ohne Wertung stellen Regisseur Bernhard Koch sowie Co-Autor und Cutter Nils Landmark verschiedene Arten der Meditation sowie deren berühmte Lehrerinnen und Lehrer vor. Vipassana, anthroposophische Meditation, Diamantweg, MBSR und Zen stehen in STOPPING gleichberechtigt nebeneinander, im Vertrauen darauf, daß die Zuschauer selbst für sich entscheiden können, was zu ihnen passt, so Koch. Hektische Szenen wechseln sich mit ruhigen Kameraeinstellungen und – im positiven Sinne – manchmal semiprofessionell wirkenden Aufnahmen ab, was eine authentische Nähe zu den Portraitierten schafft. Hier geht es nicht um menschliche Extremsituationen, wohl aber um den alltäglichen Wahnsinn, der dem Großteil der Zuschauer vertraut sein dürfte. Das schafft zahlreiche Identifikationsflächen, fernab vom Yoga-Zeitschriften-Werbungsklischee.

Pater Anselm Grün ist spiritueller Berater und geistlicher Begleiter

Eine besondere Stärke der DVD-Ausgabe aus dem Jahr 2016 liegt in dem mehr als 90-minütigem Bonusmaterial. Ungekürzte Interviews mit sämtlichen „meditativen Lehrmeistern“ des Hauptfilms eröffnen zahlreiche wertvolle Denkweisen zum einfachen Leben, die einen auf dem Weg zu einem minimalistischen Alltag aktiv unterstützen können. Besonders berührt bzw. angesprochen haben mich dabei die Gedankengänge von Pater Anselm Grün (Benediktinerpater), Fred von Allmen (Erkenntnis-Mediation) und von Dr. Vladimir Bostanov (achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie der Depression).

Stopping beleuchtet u.a. die Anthroposophische Meditation

Für Anselm Grün stehen etliche Menschen zu sehr unter dem Druck, wie sie sein müssten, sowie unter der Erwartungshaltung der anderen, aber nicht in Beziehung zu sich selbst und den Dingen. Grün plädiert dafür, sich durch Meditation wieder mehr zu spüren und einfach nur zu sein – fernab von Konsum und Lärm. Denn die Befriedigung durch materielle Güter ist meistens nur von kurzer Dauer, weshalb wir im Umkehrschluss immer mehr brauchen. Die Erfüllung liege vielmehr, dafür macht sich ebenfalls von Allmen stark, im „Nicht-Haben-Wollen“, weil Anhaftungen jeglicher Art zu einem Gefühl der Unzufriedenheit führen. Die Krux unseres Lebens liegt am Ende in seiner Vergänglichkeit. Alles ist im Fluss, Wandel und Unstetigkeit sind dem Dasein quasi systemimmanent.

Das Leben schreitet unaufhaltsam voran. Je mehr wir anhaften, desto mehr leiden wir

Die Einsicht über die Vergänglichkeit der Dinge macht einen frei und hilft Anhaftungen zu vermeiden, ergänzt Bostanov. Was Leiden schafft, ist der verzweifelte Versuch, jemanden und etwas festzuhalten zu wollen. Meditation kann ein Weg sein, um mit dieser tiefen inneren Weisheit und mit Minimalismus in Berührung zu kommen. Und aus dem Hamsterrad des Lebens wenigstens zeitweise auszusteigen.

Meditiert Ihr? Oder wollt Ihr damit anfangen? Und falls ja: Wie hat sich Euer Leben dadurch verändert bzw. was ist Eure Motivation? Verratet es uns und gewinnt eine von zwei DVDs des Dokumentarfilms Stopping. Jeder Beitrag samt E-Mail-Adresse (auf dem Blog nicht öffentlich sichtbar!) oder unter dem entsprechenden Facebook-Beitrag wandert in den Lostopf. Teilnahmeschluss ist der 22. Dezember 2017. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Umtausch oder Barauszahlung des Gewinns sind nicht möglich. Teilnahmeberechtigt sind Personen ab 18 Jahren. Viel Glück!

Alle Zitatesoweit nicht anders angegeben – stammen aus dem Booklet der DVD-Ausgabe. Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von spurenpfadefilme.de.

Stopping. Wie man die Welt anhält
Wege zur Meditation

Regie: Bernhard Koch
Sprache: Deutsch
Verleih: Spuren_Pfade_Filme
Kinostart: 2015
Länge: 90 Minuten plus 90 Minuten Bonusmaterial

Mehr Infos unter  stoppingthefilm.com

 

Für das PR-Sample sowie für die beiden Verlosungsexemplare bedanken wir uns bei Spuren_Pfade_Filme.

Film-Tipp: Zeit für Stille

Der stillste Ort der Welt. Er lag lange Zeit im US-Bundesstaat Minnesota, welcher im Norden an Kanada grenzt. Ein Land, das Assoziationen von Weite, von rauschenden Wäldern sowie von unberührter Wildnis hervorruft. Absolute Stille sucht der Mensch hier allerdings vergeblich. Zumindest, wenn wir die Abwesenheit von Tönen als Dezibel-Wert definieren.

Geräusche-Minimalismus: Dem Lärm die Tür weisen
Auch das Guinnesbuch der Rekorde weist den Weg zurück: in den Süden von Minneapolis zur sog. „Anechoic Test Chamber“. Der schalltote Raum befindet sich in den Orfield Laboratories – einer amerikanischen Firma mit einer reflexionsarmen Kammer. Sie absorbiert 99,99 Prozent aller Geräusche bei einem Minus von rund neun Dezibel auf der Lautstärke-Bilanz. Ein Extremwert, wie er in der Natur nicht vorkommt. Möglich macht dies die Spezialkonstruktion aus Glasfaser, Stahl und Beton. Schall kann dadurch weder entweichen noch eindringen. Auch bei Microsoft oder im reflektionsarmen Raum des Instituts für Wiener Klangstil (IWK) ist es längst sehr still geworden. So still, dass sich etwa die Ingenieure des Software- und Hardwareherstellers in einem akustischen Niemandsland bewegen, das seinesgleichen nur im Weltall findet. So still, dass der Wert der Orfield Labs im Microsoft Building 87 in Redmond um mehr als das doppelte übertroffen wurde. Und der Eintrag im Guinnesbuch 2016 überarbeitet. Höchstleistungen und Extremwerte treten nicht zwangsweise lautstark auf.

Um die Welt zum Schweigen zu bringen, muss man sich also anstrengen, muss abdichten, abfedern, dämmen. Nur um dann festzustellen, dass die Stille ein Janusgesicht hat. Auf Menschen wirken schalltote Räume verstörend und angsteinflößend bis hin zu Halluzinationen. Da die übliche Geräuschkulisse und mit ihr vertraute Töne zur Orientierung fehlen, treten die eigene Atmung oder der Herzschlag plötzlich lautstark hervor. Ein verwirrender Zustand, in dem das Individuum selbst zum Geräusch und gleichzeitig vollkommen auf sich selbst zurückgeworfen wird. Ohne Ablenkung, Betäubung oder Übertünchung von außen. Für viele von uns ist das kaum auszuhalten, wie der Film Zeit für Stille zeigt, der ab 30. November bundesweit in ausgewählten Kinos läuft.

Denn im Alltag sind wir von einer wahren Kakofonie aus Geräuschen umgeben; das stellen die zahlreichen Protagonisten aus acht Ländern (USA, Japan, Großbritannien, Deutschland, Belgien, China, Taiwan, Indien) wiederholt fest. Geräusche, die wir uns selbst geschaffen haben, gehen Hand in Hand mit jenen, um die wir nicht gebeten haben. Ja, sie bilden gar einen vertrackten Kreislauf aus Ursache und Wirkung, aus Henne und Ei, ein endloser Rattenschwanz, der uns beständig mit einem Klatschen ins Gesicht schlägt wie der Lärm aus der Einflugschneise oder der Laubbläser des Nachbarn. Geräusche, die weit über einem normalen Gespräch von etwa 60 Dezibel liegen und uns auf lange Sicht krank machen, die zu Bluthochdruck und anderen Zivilisationskrankheiten führen – gleich nach der Luftverschmutzung als dem schädlichem Umwelteinfluss Nummer eins. Allesamt negative Folgen, die wissenschaftlich längst als erwiesen gelten.

Das Filmteam legte mit allen Protagonisten der Doku beim Drehen eine Schweigeminute ein

Das Paradoxe ist also, dass wir uns eine künstliche Lärmkulisse erschaffen haben, obwohl das unserer Natur widerspricht. Denn eigentlich brauchen wir Stille zum Überleben, um hin- und reinzuhören, um selbst nicht gehört zu werden. Doch je weiter wir uns von ihr entfernen, desto mehr verlieren wir unser Wesen. Lärm und Geräusche sind – das wird in rund 80 Minuten unmissverständlich klar – probate Mittel zur Betäubung. Ähnlich wie Konsum. Zur Selbstabschottung gegen das Unmittelbare, gegen das Leben und unser eigenes Dasein. Das wir nicht immer in Gänze ertragen können und wollen. Denn in der Stille sind wir im übertragenen Sinne nackt; schutzlos. Ohne Geräusche sind wir auf uns selbst zurückgeworfen. Ein ungewöhnlicher Zustand, in dem wir unser Dasein, die Umwelt sowie die Realität so wahrnehmen, wie sie sind. Und das müssen wir aushalten können.

Digitales Dauergeplapper im digitalen Zeitalter
Im digitalen Zeitalter schließlich kommt digitaler Lärm dazu – ein neuzeitliches Phänomen, das uns immer weiter von uns wegführt. Wir betäuben uns visuell und akustisch bis zur Schmerz- bzw. Belastungsgrenze. Doch was soll, nein, was kann eigentlich danach noch kommen? Darauf liefert Zeit der Stille keine Antworten. Wohl aber viele Definitionen von Stille, die sich zugleich in einer Vielzahl von beruhigenden Bildern ausdrückt. Bilder, die zeigen, dass selbst die Stille ein Geräusch ist. Aufnahmen, die belegen, dass es keine Stille gibt, solange wir in der Welt sind. Weil wir uns in der Abwesenheit von Geräuschen selbst als Lebewesen wahrnehmen. Dennoch, und das mag im ersten Moment paradox klingen, ist Stille für jeden verfügbar. Und es ist nie zu spät, danach zu suchen.

Der Film begleitet eine Teezeremonie im Uraenke-Teehaus in Kyoto

Wo diese Suche beginnt und wo sie enden kann, zeigt Regisseur Patrick Shen in seiner Doku äußerst eindringlich. Fernöstliche Philosophien, Meditation, Schweigekloster, ein einfacher Waldspaziergang: Stille ist überall da, wo wir bereit sind, ihr den notwendigen Raum zu geben. „Dass Waldluft unser Immunsystem noch besser in Balance bringt, als wir bisher dachten, und uns sogar vor Herzinfarkt schützt, hat der japanische Arzt und Waldmediziner Prof. Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio in jahrelangen Feldstudien beweisen können“, schreibt Diplomingenieur und Biologe Clemens Arvay in diesem Zusammenhang. Ein weiteres Thema, mit dem sich der Kinofilm auseinandersetzt ebenso wie mit seinen extremen Gegenbeispielen. Denn wenn in Mumbai die dreimonatige Festzeit beginnt, braucht es keine hektischen Kamerabewegungen oder schnellen Schnitte mehr. Ein kurzer Zoom auf das Messgerät einer Einheimischen mit seinen 100 Dezibel treibt den Puls beim bloßen Zusehen in die Höhe und lässt ihn spürbar fallen, sobald die filmische Komposition – wie es in der Presseankündigung heißt – wieder einem am menschlichen Stoffwechsel orientierten Rhythmus folgt.

Meditatives Blätterrauschen: Nicht alle Geräusche empfinden wir als störend

Wenn alle schweigen und keiner spricht, dominiert keiner, heißt es sinngemäß in einer Einstellung, die Lautes leise macht. Immer wieder drückt Zeit für Stille auf die Stopptaste und macht durch den akustischen und optischen Szenenwechsel von laut – leise bzw. leise – laut den Irrsinn unserer internationalen Geräuschkulisse deutlich. Stille ist ein Gut, das wir niemals finden werden. Aber dennoch hören können.

In der Ruhe liegt also viel Kraft. Und zum ersten Mal habe ich diese nach einem Besuch im Lichtspielhaus in die reale Welt hinaus getragen.

Alle Zitate stammen – soweit nicht anders angegeben – aus dem Film Zeit für Stille.
Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von kinofreund.

Zeit für Stille

Regie: Patrick Shen
Land: USA
Sprache: Englisch mit deutschen Untertiteln
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 30.11.2017
Länge: 81 Minuten

Für die Pressekarten zur Kinovorführung in München bedanken wir uns bei der Kölner Filmpresse.