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Auslese: Die Zeit, die wir hatten

Alles im Leben hat seine Zeit, sagt der Volksmund. Mir fällt das momentan ganz besonders beim (Aus-)Sortieren meiner Bücher auf. Diese entstammen – grob gesagt – aus drei verschiedenen „Herkunftsquellen“: Neu gekauft, gebraucht erworben, geschenkt bekommen. Besonders bei den beiden letztgenannten Quellen liegt jedoch der literarische Hund begraben. Und mit ihm die Erkenntnis: Ein Großteil meiner Bibliothek wird, soll, kann, darf und muss mich verlassen.

1. Konsumfalle „Schnäppchen“
„Rabattschilder sorgen dafür, dass wir weniger nachdenken“, so Gehirnforscher Bernd Weber vom Bonner Center für Economics und Neuroscience in einem aktuellen Focus-Artikel. Das gilt meiner Meinung nach auch für Gebrauchtwaren. In meiner Konsumsozialisation spielten Flohmärkte viele Jahre eine große Rolle. Ein Überangebot an Schnäppchen hat meinen studentischen Geldbeutel seinerzeit geschont, aber gleichzeitig mein Bedürfnis nach medialer Zerstreuung befriedigt; ein gewisses Besitzstandsdenken inklusive. Rückblickend stelle ich fest: Ich bin oftmals sehr unkritisch gewesen und habe auch Lesestoff mitgenommen, den ich zum Originalpreis niemals gekauft hätte. Womit wir auch auch schon bei Punkt 2 wären.

Empfehlenswerte Lektüre: "Joy of less" von Francine Jay

Empfehlenswerte Lektüre: „Joy of less“ von Francine Jay

2. Interessen ändern sich
Ich bin kein großer Freund von Belletristik (mehr). Und habe schlichtweg den Zeitpunkt verpasst, die o.g. „Schätze“ zu lesen, als mich v.a. moderne Unterhaltungsliteratur noch vom Hocker gehaut hat. Viele geschenkte, ungelesene Bücher fallen daher jetzt in die Kategorie „uninteressant“. Dazu kommen zwei weitere Faktoren. Erstens: Ich bin mittlerweile ein größerer Liebhaber von Fachbüchern sowie passionierter Zeitungsleser geworden. Zweitens: „Ich bin mir einfach zu schade, um […] ätzende Dialoge oder miese Handlungen zu konsumieren.“ Diesen Satz habe ich neulich bei Bloggerkollegin Johanna von Liebesbotschaft gelesen und kann ihn zu 100% unterschreiben. Das Leben ist zu kurz und zu wertvoll, freie (Ich-)Zeit oftmals so schwer erkämpft, als dass man sich im Sumpf von persönlichen und/oder gesellschaftlichen Erwartungshaltungen verlieren sollte. Wer mein Jahresfazit 2015 gelesen hat, weiß, was ich meine. Also weg mit den (alten) Schinken!

3. Typ auditiv
Wenn es etwas auf die Ohren gibt, bin ich immer ganz vorne mit dabei. Schon als Kind habe ich es geliebt, wenn mir jemand eine Geschichte vorgelesen hat. Als meine ältere Cousine endlich ihre Hörspielkassetten locker gemacht hat, ist für mich ein akustischer Traum in Erfüllung gegangen. Diese Leidenschaft teilen sowohl Herr M21er als auch ich noch heute: Weshalb meine alten (Musik-)Bänder selbst in Zeiten von analogem und digitalem Entrümpeln Bleiberecht haben. Apropos auditiv: Meine neue Entdeckung – die heimliche „Minimalismus-Hymne“ von Silbermond :-).

Kurz gesagt: Menschen mit schöner Stimme faszinieren mich, eine gut vertonte Geschichte kann mich magisch in ihren Bann ziehen – sogar wenn die eigentliche Story dahinter gar nicht die Wucht ist. An dieser Stelle darf es dann gerne wieder etwas mehr in den Bereich Unterhaltungsliteratur gehen. Denn hier gilt die Devise: Ich lasse mich unterhalten. Nach Feierabend oder am Wochenende mit geschlossenen Augen in fremde Welten einzutauchen, entspricht meinem Rezeptionsverhalten bei schöngeistigem Amüsement mehr als selbst den Blätterwald zu durchforsten.

Fazit und Schlussakkord
Wenn ich mich mit dem Thema „Minimalismus“ auseinandersetze, geht es also schon lange nicht mehr nur um Ausmisten, Aussortieren, Entrümpeln etc. Vielmehr schäle ich wie ein Archäologe aus allen Schichten meiner Persönlichkeit das heraus, was mein Leben bereichert und wertvoll macht, setze Prioritäten und versuche den Alltag einfacher und vor allem bewusster zu gestalten. Mein Bücherregal stellt dabei nur einen Ausdruck meiner persönlichen Historie dar. Und die ist nun zum Teil Geschichte.

Schenk Dich reich

Heute wurde ich reich beschenkt. Am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub fand ich gleich zwei Weihnachtspräsente auf meinem Schreibtisch. Beide konnte ich vor den Feiertagen leider nicht mehr persönlich entgegennehmen.

1. Das Advents-Müsli von mymuesli
Ein Partnerunternehmen, mit dem ich vor Kurzem in Sachen „Marktforschung“ zusammensaß, hat es an seine Kunden verschickt. Und das Ganze trifft im wahrsten Sinne des Wortes genau meinen Geschmack! Denn wie ich es bereits in einem anderen Blogpost sagte: Ich mag keine Werbegeschenke. Kugelschreiber, USB-Sticks, die schlecht klebenden Pflaster aus der Apotheke, Schlüsselanhänger, Feuerzeuge – diese und andere vermeintliche Image- bzw. Markenträger rufen mir ein Unternehmen nicht (unbedingt) nachhaltig ins Gedächtnis. Über ein halbes Kilo geballte Biomischung ohne Gentechnik freut sich mein „Ich-frühstücke-Müsli-und-Obst-Herz“ jedoch herzallerliebst. Außerdem bevorzuge ich Geschenke, die man auf- bzw. verbrauchen kann – und das voller Genuss und gerne mit ein bisschen „Luxus“ (Ich würde ja gerne mal dies und das probieren/kaufen/konsumieren, aber das liebe Geld und die Gewohnheit und… – ihr wisst, was ich meine ;-)). Womit wir auch gleich bei Nummer zwei wären.

2. Naturkosmetik von Alpienne
Wer sich mit „Minimalismus“ beschäftigt, kommt irgendwann an Themen wie „Nachhaltigkeit“, „plastikfreies Leben“, „ökologisch verträgliche Produkte“ etc. nicht vorbei. Krebserregende Stoffe in Lippenstiften gefunden lautete eine von vielen gleichartigen Schlagzeilen 2015, etwa bei Utopia. Darüber sprach ich unlängst auch mit meiner Werkstudentin, die mich zwei Mal pro Woche im Tagesgeschäft unterstützt. Eine Freundin von ihr wiederum vertreibt Produkte der Marke Alpienne, die nach den Produktionsprinzipien 100% Naturreinheit und klimaneutrale Herstellung verfährt. Während meiner Abwesenheit hat mir meine Studentin u.a. einen paraben-, farb- und konservierungsstofffreien Lippenbalsam der Firma samt Grußkarte auf den Platz gelegt. Und darüber bin ich sehr gerührt. Denn: Die wahre Kunst des Schenkens basiert für mich v.a. auf dem Zuhören. Auf dem Wahrnehmen meines Gegenübers, auf einem echten Interesse am Anderen. Auf den leisen (Zwischen-)Tönen und einer gewissen Form der Achtsamkeit.

Wie du mir so ich dir
Genau das versuche ich selbst zu beherzigen, wenn ich einem Menschen eine (materielle) Freude machen möchte. Eine Kollegin, die mir in den letzten Monaten sehr ans Herz gewachsen ist, sprach öfters über ein bestimmtes Hörspiel. Dass sie suche und gerne hätte. Auf die Suche habe ich mich schließlich kurz vor Weihnachten gemacht und bin im Netz fündig geworden. Ein Klick später kam das gute Stück zu mir nach Hause, bevor es heute an die endgültige Besitzerin überging. Erste sinngemäße Reaktion:  „Jetzt habe ich gar kein Geschenk für Dich.“ Liebe W., Du bist das Geschenk, weil ich Deine Gegenwart immer schätze, so gerne mit Dir lache und diskutiere. Über den Job und mittlerweile auch über das Leben. Deine Freude hat mich heute reich gemacht. Ich gebe nicht, weil ich dafür eine Gegenleistung erwarte. Ich gebe, da – und wenn – ich es von Herzen möchte und weil gemeinsame gute Zeit ohnehin mit nichts aufzuwiegen ist.

Dass sich die Minimalistin dennoch über Lippenbalsam, Handcreme und Müsli maximal freut, liegt in der Natur der Sache(n). Kleine Gesten erwachsen aus ernsthaften Gedanken (machen). Davon nehme ich in Zukunft gerne mehr. Nicht nur unter Kollegen.

2015: Ich lass‘ dann mal los

Jahresende und Neujahrswechsel. Ein beliebtes Datum, um Bilanz zu ziehen. Bilanz über 365 Tage. Bilanz über gute und schlechte Momente. Und: Bilanz über meinen gelebten Minimalismus. Schließlich hatte ich dafür zwölf Monate Gelegenheit. Würde ich einen symbolischen Strich unter diese Zeit ziehen, stünde dort als Fazit „Losgelassen für Fortgeschrittene“.

Das Leben ist ein (langer ruhiger) Fluss
Neulich habe ich gelesen, dass die statistische Lebenserwartung für Frauen bei 83 Jahren liegt. Männer müssen sich mit etwa 76 Lenzen zufrieden geben. Für Herrn M21er heißt dies also Halbzeit. Für mich geht es in großen Schritte auf eben diese zu. Warum ich das hier betonen möchte? Weil mir einmal mehr bewusst geworden ist, wie endlich das Leben ist. Wir alle haben ein bestimmtes Daseinskapital mit auf den Weg bekommen, welches ich mir wie einen großen Kalender mit unleserlicher Endzahl vorstelle: Jeden Tag wird dieser Kalender um ein Blatt dünner, jeden Tag gehen 24 Stunden vorbei, die ich in dieser Form nie wieder zurückholen kann. Wer vor diesem Hintergrund immer nur von Wochenende zu Wochenende und von Urlaub zu Urlaub lebt, reißt also etliche Blätter dazwischen lieblos und wenig achtsam ab.

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Alles im Fluss

Ein Hamsterrad namens Alltag
Trotzdem ist und bleibt es eine Tatsache, dass uns der Alltag zwischen eben diesen freien Momenten manchmal schier aufzufressen scheint. 2015 war dies besonders ausgeprägt: Ein langes Dissertationsprojekt abschließen, Prüfung vorbereiten, Verlagsverhandlungen führen und daneben zahlreiche neue Herausforderungen im Vollzeitjob bewältigen. Für Muße und qualitativ wertvolle (Ich-)Zeit blieb oft nur wenig Raum. Umso mehr habe ich mir angewöhnt, mich noch stärker als bislang zu fokussieren, mich frei zu machen von gesellschaftlichen und persönlichen Erwartungen. Die studierte Germanistin in mir muss nicht den kompletten literarischen Kanon durchgearbeitet haben. Die promovierte Historikerin hat nicht den Anspruch, die Weltgeschichte erklären zu können. Die Filmliebhaberin guckt DVDs mit deutscher Synchronfassung und verzichtet ohne schlechtes Gefühl aufs englische Original. Die Minimalistin in M21 akzeptiert, dass sie niemals alle Länder sehen, alle Bücher lesen, alles Interessante dieser Welt in seiner unüberschaubaren Vielfalt aufnehmen, verstehen und konsumieren wird.

Das Leben ist im Fluss und wie ein Fluss, heißt es. Und den kann man bekanntlich nicht mit den Händen aufhalten. Aber wir können uns mitreißen lassen und immer dann für eine bestimmte Zeit an Land gehen bzw. andocken, wenn uns etwas und jemand als besonders wertvoll erscheint. Wir können uns konzentrieren und uns auf das beschränken, was uns lieb und teuer ist. In den letzten 365 Tagen hatte ich viele Gelegenheiten, den Wert der Dinge für mich zu überprüfen, herauszuschälen und freizulegen – sei es auf Reisen oder während der Auseinandersetzung mit den vielen Facetten einer alternativen Lebenswelt fernab unserer zunehmenden Konsumdiktatur.

Ich habe gelernt, dass man im Leben nichts – oder nur sehr wenig – auf Dauer festhalten kann. Und muss. Das gilt für Besitztümer ebenso wie für zwischenmenschliche Beziehungen. Ich habe dabei verinnerlicht und am eigenen Leibe erfahren, wie schmerzhaft Loslassen dennoch immer wieder sein kann und wie befreiend es zugleich ist, wenn man den neugewonnenen Raum im Anschluss mit offenen Armen empfängt. Mein persönliches Glück und meine Zufriedenheit haben ihre Ankerplätze auf dem weiten Meer der Möglichkeiten gefunden. Jeden inneren und äußeren Ballast, den ich über Bord geworfen habe, hat mich in diesem Jahr ein bisschen leichter und unabhängiger gemacht: Ich spüre endlich Rückenwind. Er treibt mich an und vermittelt mir das sichere Gefühl: Du bist auf dem richtigen Kurs!

2016, ich freue mich auf Dich. Seichte Gewässer und stürmische Zeiten inklusive. Los geht’s.