Postwachstumsökonomie: Prof. Dr. Niko Paech auf der Grünen Bühne.
Ein Abend, zwei Perspektiven. Eine Nachlese von M21 und Herr M21er.
Nachlese M21
Niko Paech ist Volkswirtschaftler. Als solcher kennt er die Spielregeln der Wirtschaft ganz genau. Der Ökonom, Gastprofessor und Autor weiß: Dieses System ist an den Wachstumsglauben gekoppelt. Trennen wir Wirtschaft und Wachstum, müssen wir in erster Linie über Lebensstile sprechen. Und sprechen wollte man an diesem Abend auf der ausverkauften „Grünen Bühne“, eine Veranstaltung von Green City e.V. München.
Über materielle Selbstverwirklichung, Gegenentwürfe und Lösungsansätze sowie über den Wohlstand der Nationen.
Kollektive Entgrenzung
Erste bittere Erkenntnis: Es ist eine Form der Entgrenzung, die uns reich gemacht hat. Beispiel gefällig? An der Herstellung eines Gegenstandes sind heutzutage dutzende Produzenten beteiligt, die sich alle auf einen Teilprozess spezialisiert haben. Auf diese Weise lassen sich die Produktionsorte dorthin verlagern, wo es billig ist – zum Beispiel in Länder, in denen Kinderarbeit kein Problem darstellt. Ist die Ware schließlich beim Konsumenten angekommen, soll diese möglichst schnell „vernutzt“ werden.
Also, lieber Leser, sei kooperativ! Denn der Mensch agiert in diesem Gefüge nur mehr als Träger von begrenzten Konsumzeiten und das, obwohl viele von uns längst unter einem „Konsum-Burn-out“ leiden, so Paech; geplante Obsoleszenz nicht mitgedacht. Die Reizüberflutung an Angeboten zeigt sich unter anderem in der zunehmenden Digitalisierung des Lebens. Aber auch materielle Obergrenzen scheinen oftmals nicht mehr zu existieren und das, obwohl jeder von uns durchschnittlich 10.000 Dinge besitzt. Wir konsumieren als Routine materieller Selbstverwirklichung – und kaufen uns die vermeintliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht beziehungsweise Sozialstruktur gleich dazu.
Befreiung vom Überfluss
Heißt weniger konsumieren im Umkehrschluss verzichten müssen? Keineswegs, sagt der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler, und fast meint man eine Welle der Erleichterung im Publikum zu verspüren. Was wir tatsächlich brauchen, um glücklich zu werden, seien Geld und Zeit. Spätestens jetzt führt mich der Wachstumskritiker, der predigt, ohne missionarisch zu sein, an den Ursprung meiner minimalistischen Initialzündung zurück.
Mir fehlt(e) die Zeit, um mich dem Konsum zu widmen. Und damit bin ich in bester Gesellschaft. Wir alle können mehr Dinge kaufen, als wir Zeit haben, diese glückstiftend zu nutzen. Paechs These: Glück und subjektives Wohlbefinden hängen von der Zeit ab, die einer Handlung oder einem Konsumobjekt gewidmet wird. Die fixe Konsumzeit nimmt dabei paradoxerweise einen immer größeren Anteil an der Gesamtzeit ein. Doch wie will man 10.000 persönliche Dinge eigentlich nutzen, um sie einzeln zu spüren? Wer erst einmal erlebt hat, wie befreiend ausmisten, entrümpeln, loslassen, verzichten und verweigern ist, der weiß: Reduktion und Minimalismus bedeutet Selbstschutz, Selbstschutz vor Überforderung und keinesfalls Verzicht. Paechs Empfehlung: Den eigenen Besitz soweit senken, dass wir einen Glückseffekt verspüren. Was am Ende übrig bleibt, hat wirklich Wert.
Nachlese Herr M21er
Ein rappelvoller Tagungssaal über den Dächern Münchens, ein interessantes Publikum ist gekommen; alle Altersgruppen sind vertreten – von der Studentin über den Anzugträger bis zum bärtigen Ökohippie. Und alle warten gespannt auf Niko Paech, Referent des Abends.
Nächste Ausfahrt Nachhaltigkeit
Mit klaren Worten skizziert er die schier ausweglose Misere der modernen westlichen Industrienationen, gefangen zwischen Wachstumszwang, Finanzkrise, Ressourcenverschwendung, Konsum-Burn-out und Klimawandel. Paech nimmt kein Blatt vor den Mund, beschönigt nichts: Wir sind an der Ausfahrt Nachhaltigkeit vorbeigerauscht, es ist kein grünes Wachstum ohne weitere Ressourcenverknappung möglich, der Peak everything ist unvermeidbar – wir alle werden den Kollaps noch erleben. Warum?
Die bisherigen Krisen der Industrienationen wurden regelmäßig durch noch mehr Wachstum überwunden. Doch wirkliche strukturelle Veränderungen blieben aus. Diese Vogel-Strauß-Politik funktioniert spätestens dann nicht mehr, wenn der Rohölpreis ins Unbezahlbare steigt.
Doch es gibt einen Ausweg. Paechs Modell der Postwachstumsökonomie. Seine Umsetzbarkeit fußt auf fünf Thesen – im Grunde faszinierend einfach:
- „Entrümpelung“ des Konsumverhaltens und „Entschleunigung“ des (Arbeits-)Lebens als sinnvolle Suffizienzstrategie
- „Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung“ mit dem Ziel, die Abhängigkeit von monetär basierter Fremdversorgung zu minimieren
- „Regionalökonomie“
- „Stoffliche Nullsummenspiele“ durch Optimierung von Nutzungsdauer und -intensivität
- „Institutionelle Innovationen“ wie Boden- und Geldreformen sowie Festschreibung von CO2-Kontingenten
Der Gastprofessor an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg vereinfacht komplizierte Zusammenhänge durch erheiternde Beispiele aus dem Leben. Seine Authentizität und Überzeugungskraft sind ansteckend.
Leben in der Gemeinschaft
Trotzdem bleibt ein letzter Zweifel, nämlich die Frage nach der Umsetzbarkeit. Und genau dieser Einwand kam am Ende des Abends. Es schwang eine leise Ironie mit, als eine Dame fragte, wie man denn als Einzelne diese Postwachstumsökonomie umsetzen solle. Umso überzeugender die souveräne Antwort von Paech: für mich der eigentliche Aha-Effekt des Abends. Spielerisch heiter entkräftet er den latenten Vorwurf, eine weitere Utopie gestaltet zu haben. Er fordert uns auf, im Kleinen anzufangen und sich als Avantgarde zu verstehen, Gemeinschaften zu bilden und die Idee nach außen zu kommunizieren.
Warum nicht einfach mal beim Nachbarn nach einer Bohrmaschine fragen, wenn die eigene kaputt ist? Warum nicht zur Kleidertauschparty gehen und Gleichgesinnte treffen? Warum nicht privates Carsharing unter Freunden organisieren? Warum nicht das eigene Konsumverhalten entrümpeln und sich auf die wesentlichen Bedürfnisse konzentrieren? Das macht Spaß, schafft neue Gemeinschaften und erzeugt Zufriedenheit. Und die Idee wird sich virulent weiterverbreiten, andere Menschen anstecken und damit die Grundlagen für Veränderung schaffen.
Literaturempfehlung: Niko Paech: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. oekom verlag 2012 (14,95 €)
Green City bietet im Lauf der nächsten Tage, dank Herrn Prof. Paechs Sinn für die Gesellschaft;-), die Powerpoint des Vortrags zum Download an. Den Link posten wir dann auch hier.
[…] Postwachstumsökonomie auf Minimalismus21: Darf’s ein bisschen weniger sein? […]
Danke für den Artikel und den dann kommenden Link. Der Gedanke: Bei sich selbst im kleinen Anfangen und gucken was daraus erwächst ist toll. Große Veränderungen fangen halt immer im kleinen an.
Hallo Mark,
ja, das sehen wir ganz genauso.
Die traurige Wahrheit ist, dass zumindest ein Teil der Menschen immer noch auf ein „externes Go“ wartet, also z.B. vonseiten der Politik. Damit lässt sich die Verantwortung natürlich schön verlagern und wegschieben.
Darüber hinaus muss es ja nicht immer gleich das große Ganze sein – auch kleine Schritte führen schlussendlich zum Ziel und zeigen große Wirkung, wenn sie von der Masse getragen werden.
Für alle, die sich noch genauer mit Paech beschäftigen möchten:
Hier gibt es den Vortrag als PDF zum Download.
Vielen Dank, Prof. Niko Paech und Green City!
So… hier nun der Link zum pdf von Prof. Paechs Vortrag zur freien Verfügung:
http://www.greencity.de/postwachstumsokonomie-zum-nachlesen-pdf-download/
Link funktioniert nicht!
Liebe Samoa,
vielen Dank für den Hinweis.
Leider ist es auf Greencity.de wirklich nicht mehr zu finden.
Alternativ empfehlen wir dieses Video https://www.youtube.com/watch?v=Xdwqu88cY3g.
Herzliche Grüße
M21
Liebes Minimalismus21-Team, wieder ein Artikel mit Aha-Effekt. Prof. Paech spricht aus, was ihr für mich durch euren Blog bewirkt, ein Nach- und Umdenken über Konsum und Besitz. Ein Stein ist ins Rollen gebracht und die Leser von Minimalismus21 tragen dazubei, ihn in Bewegung zu halten.
Liebe Frau Mama,
wenn dem so ist, dann macht uns das wirklich verdammt glücklich :-D.
Liebe Grüße
M21 und Herr M21er.