Jede Geschichte hat irgendwann ihren Anfang genommen. Auch die von Bloggerin Bea Johnson. Die gebürtige Französin führte ohne Zweifel das, was man den amerikanischen Traum nennen kann. Oder ein Leben im Überfluss. Je nach Betrachtungsweise: 280m²-Haus, zwei Autos, begehbare Kleiderschränke, Koi-Fischteich und eine 240-Liter-Tonne Müll wöchentlich obenauf. Finanzielle Probleme? Fehlanzeige! Wie Johnson schonungslos ehrlich zugibt, zog das Leben lange Zeit ohne Anstrengungen vorbei und spendierte ihr alle Annehmlichkeiten der modernen Welt. Nach Jahren der gesättigten Sesshaftigkeit in Kalifornien dann jedoch die erschreckende Erkenntnis: Ihr Mann und sie hatten zu viel Wert auf materielle Dinge gelegt. Ein Schock und zugleich eine Trendwende, die fast so radikal kam bzw. war wie die Einkauftrips davor. Bea und ihr Mann Scott zogen den Konsumstecker und entsagten nicht nur gedankenlosen Alltagsentscheidungen, sondern auch 80 Prozent ihres Besitzes. Der Wendepunkt ging mit einem aktiven „Nachhaltigkeitsmantra“ aus fünf Säulen einher. Refuse, reduce, reuse, recycle, rot, also ablehnen, reduzieren, wiederverwenden, recyceln, verrotten, was aus dem Haus der Johnsons ein Zero Waste Home machte. Über ihre Erfahrungen hat die Mutter zweier Söhne einen umfangreichen Erfahrungsbericht und Ratgeber mit über 350 Seiten geschrieben. Die deutsche Übersetzung inklusive zahlreicher nationaler Internetseiten zum Thema ist im Herbst 2016 im Verlag Ludwig erschienen.
Glücklich leben ohne Müll! – so der passende Titel des internationalen Bestsellers – ist eine mögliche und machbare Lebensform. Dennoch erfordert sie etwas Übung und Praxis sowie eine realistische Anpassung an die individuellen Umstände, um zum persönlichen Wendepunkt und Meilenstein zu werden. Zwischen den ersten Einschränkungen und Experimenten bis hin zum spürbaren nachhaltigen Wandel lagen bei Johnson etliche Fehlversuche und skurrile Extreme, darunter der Ersatz von Toilettenpapier durch Moos. Obwohl sich diese Methode nicht als alltagstauglich erwiesen hat, verdeutlicht sie den Ansatz des Buches bereits in der Einleitung. Zero Waste Home gehört mit seinem Inhalt, mit zahlreichen Rezepten, raffinierten Anwendungsbeispielen und hilfreichen Kontaktadressen zu den literarischen Pionieren, die weit mehr als nur gängige umweltfreundliche Alternativen beleuchten. Dabei reicht schon die Lektüre der ersten 20 Seiten für einen realistischen Blick auf ein Thema, das zunächst große Unsicherheit oder Überforderung bei vielen Konsumjunkies auslösen mag.
Die richtige Balance finden
Tatsächlich ist ein absolutes Zero Waste im wortwörtlichen Sinne für die Autorin aufgrund der gegenwärtigen Produktionsbedingungen aber weder denk- noch machbar. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, diesem Ziel so nah wie möglich zu kommen, d.h. jede kleine Veränderung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Balance zu stärken und Kaufentscheidungen genau abzuwägen – etwa hinsichtlich Quantität vs. Qualität, neu vs. gebraucht, kaufen vs. selber machen (DIY) usw. – und Müll sowie Verschwendung durch entsprechenden Konsumverzicht weitgehend zu vermeiden. Erlebnisse statt Sachen lautet eine Devise, mehr Zeit besitzen statt Zeug eine andere, nach der Johnson ihren Alltag ausrichtet. Praktisch bedeutet das, den Verlockungen der Marketing- und Werbeindustrie nach einem unstillbaren Mehr an Konsumartikeln stetig und lebenslang diszipliniert zu widerstehen – egal, ob es um Küche und Lebensmittel-Einkauf, Badezimmer, Körperpflege und Wohlbefinden, Schlafzimmer und Kleidung, Haushalt und Instandhaltung, Arbeitsplatz und Werbepost, Kinder und Schule, Feiertage und Geschenke geht sowie das Verhalten Unterwegs.
Müllvermeidung, durchdachter Konsum, Verarbeitung der Abfälle
Die fünf Schritte des Zero-Waste-Lebensstils werden im Johnsons Publikation in positiver Redundanz rauf- und runterexerziert und auf sämtliche Bereiche des menschlichen Daseins übertragen. Moderne technische Empfehlungen wie das (Weg-)Lasern von Körperbehaarung zur Vermeidung von Rasierschaum und Co. kommen dabei genauso zur Sprache wie die Verwendung von waschbaren Stoff- statt handelsüblichen Papiertaschentüchern und der Umstieg auf Secondhand-Ware. Lediglich der Zero Waste-Hund wirkt am Ende dann doch etwas übertrieben. Denn Hand aufs Herz: Wer sucht sich Wauzi und Bello danach aus, ob loses Fell bzw. Fellfarbe und Teppichfarbe miteinander harmonieren.
Einfach eine einfache Balance finden
Was den besonderen Mehrwert von Zero Waste Home ausmacht, ist am Ende aber genau dieses Augenzwinkern sowie die Tatsache, dass Johnson den Finger in offene Wunden legt und Themen anspricht, die als unbequem oder gar als gesellschaftliches Tabu gelten. Neben der Überlegung, woher der Müll kommt, müssen wir genauso ehrlich fragen dürfen, ob unsere Erde die menschlichen Fortpflanzungsgewohnheiten weiter aushalten kann. Ob ein Datenträger wie dieser – nämlich ein Buch über Müll- und Ressourcenminimierung – gerechtfertigt und das vielfach beschworene „Upcycling“ nur eine Methode ist, um unnötigen Plunder legitim von einer Ecke in die nächste zu schieben. Aber keine Angst: Minimalismus und kreative Armut gehören deshalb noch lange nicht zwingend zusammen, moralinsauer wird es in keinem Kapitel und an keiner Stelle, von Faktenhuberei nicht die geringste Spur. Die Antwort von Buch bzw. Lifestyle liegt vielmehr in einem bunten Strauß ressourcenschonender Möglichkeiten, bei denen wir uns nicht länger zu Sklaven unbelebter Dinge machen, mehr innere und äußere Freiheit(en) gewinnen und am Ende sogar gesundheitlich profitieren. Leichte Abzüge bei Glücklich leben ohne Müll! gibt es lediglich für die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche, die an manchen Stellen nicht ganz flüssig wirkt und ein, zwei sprachliche Stilblüten hervorbringt.
Fazit: Kritisches Buch einer selbstkritischen Frau, die eine weltweit notwendige Diskussion um unseren fahrlässigen Lebensstil angestoßen hat. Für Minimalismus21 eine der wichtigsten Lektüren und Wegbereiter zu einer neuen (Zero Waste) Gesellschaft im 21. Jahrhundert.
Bea Johnson: Zero Waste Home. Glücklich leben ohne Müll! Reduziere deinen Müll und vereinfache dein Leben. Verlag Ludwig 2016 (19,90 Euro).
Zur Leseprobe.
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim Verlag Ludwig.