Nachlese & Seitenblicke
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Shopping kann tödlich sein

„Shopping kann tödlich sein.“ Wie oft bin ich in den letzten Wochen über diesen Satz gestolpert. Aus meiner Beschäftigung mit dem Minimalismus heraus leicht verständlich: Wir konsumieren, als wenn es kein Morgen gäbe; ohne Rücksicht auf (ökologische) Verluste. Das belegen entsprechende Zahlen des Statistischen Bundesamts. 2016 wuchs die Wirtschaft insgesamt um knapp zwei Prozent – „und damit so stark wie zuletzt vor fünf Jahren. Gründe […] sind der Bau- und Immobilienboom sowie die allgemeine Konsumlust der Deutschen“, so ZEIT Online. Hirnbiologisch lässt sich dieses Verhalten gut erklären. Unser Belohnungssystem wird immer dann aktiv, wenn wir es mit Reizen füttern, die uns Freude und Lust bereiten wie Einkaufen, Essen, Sex etc. Das verschafft uns ein Gefühl der Befriedigung und inkludiert zugleich den Wunsch nach permanenter Wiederholung. Hirnforscher Dr. Kai Fehse vom Humanwissenschaftlichen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt unser Verhalten wie folgt:

„Der Mensch macht zunächst einmal das, was ihn sofort belohnt. Das bedeutet: Wird eine unserer Handlungen sofort mit Freude belohnt, dann machen wir das auch. Bleibt die Belohnung aus, machen wir es nicht.“

„Für jeden Scheiß hast Du Zeit gehabt.“ Eine aufrüttelnde Kampagne der Felix Burda Stiftung. © Bilder: Felix Burda Stiftung

Die Felix Burda Stiftung hat diesen Grundgedanken in den Mittelpunkt ihrer aktuellen Awareness-Kampagne für die Prävention von Darmkrebs gestellt. Ihr Motto im Darmkrebsmonat März 2017: „Ausreden können tödlich sein!“
Und genau hier liegt das Problem bei der gesundheitlichen Prävention: „In diesem Fall tritt die Belohnung, also die Erhaltung meines eigenen Lebens, sehr viel später ein, als das, was ich machen muss. Also schiebe ich die Vorsorgeuntersuchung gerne in die Zukunft, oder verwerfe sie gleich komplett“, bilanziert Fehse.

Das Tragische ist: Trotz umfangreicher medizinischer Angebote sterben etwa 25.600 Menschen pro Jahr an dieser Krebsform, die sich bei frühzeitiger Diagnose als einzige verhindern bzw. heilen lässt. Das müssen der Herr M21er und ich auf einmal selbst hautnah erfahren.

Mehr Achtsamkeit fürs Ich
Von einem Tag auf den anderen hat sich die Diagnose „Darmkrebs“ in unsere Gedanken gefressen, den Alltag in Beschlag genommen, die Sprache verstummen und das Lächeln gefrieren lassen. Die Sorglosigkeit der letzten Jahre entpuppte sich als trügerische Nachlässigkeit, ein Polyp als feindselige Krake, die ein Karzinom umschlungen hielt. Obwohl die eigentliche Operation planmäßig und nach Lehrbuch verläuft, stellen sich nur kurze Zeit später unerwartete Komplikationen ein: fünfstündige Not-OP, Blut im Bauchraum, Herzinfarkt, Intensivstation. Als Angehörige stehen wir hilflos daneben, können die Ängste kaum artikulieren und fragen uns, ob das jetzt alles war. Ob wir alle Geschichten erzählt und geteilt haben, ausreichend Zeit miteinander verbrachten und genügend Druck ausübten, entsprechende Gesundheitschecks wahrzunehmen. Spätestens dann kommt die Überlegung hoch, die wir uns in regelmäßigen Abständen stellen sollten: Was macht das Leben aus? Was macht mich dauerhaft wirklich glücklich? Worauf möchte ich mich konzentrieren? Mit wem oder was Zeit verbringen? Innehalten, durchatmen, Gedanken ordnen.

Über 75 Jahre beschäftigten sich Harvard-Forscher und -Forscherinnen mit der Frage, was Glück wirklich ausmacht. The Grant Study und The Glueck Study gehören zu den umfangreichsten und längsten Untersuchungen, die jemals von Menschen über ihresgleichen durchgeführt worden sind. Das überraschende Resultat: Es seien weder Geld noch körperliche Gesundheit, was uns glücklich mache. Auch wenn wir der letzten Aussage massiv widersprechen müssen, sind zwei andere Punkte interessant. George Vaillant, Leiter der Studie, erklärt folgende Faktoren für existentiell: Die Liebe sowie einen Lebensweg, der selbige nicht vertreibt. Übersetzt kann man sagen, wir müssen unsere Prioritäten anders setzen und in der Lage für Kommunikation und Austausch bleiben, um ein gesundes Leben zu haben. „Dazu gehört womöglich, die Arbeitszeit und Stress zu reduzieren, damit wir unsere Beziehungen vernünftig pflegen können. Laut der Studie bedeute Glück auch, nicht immer alles gleich und sofort zu wollen, sondern sogar weniger zu wollen, Impulse kontrollieren zu können und seinen Trieben nicht gleich nachzugeben“, schreibt die Online-Plattform ze.tt.

Humor und die Fähigkeit, aus der Erfahrung zu lernen, sind dabei nur zwei existentielle Faktoren, um mit schweren Schicksalsschlägen umzugehen. Der Vater von Herrn M21er hat noch einmal Glück gehabt. Und wir konsumieren in nächster Zeit eine Extraportion Galgenhumor.

Literaturtipp: Was vom Leben übrig bleibt, kann alles weg. Fundstücke eines Wohnungsauflösers. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2012 (8,99 €)

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