Florian Kaps ist ein charismatischer Redner. Einer, der seine Zuhörer zum Lachen bringt. Ein Publikum, das sich beruflich den modernen Medien verschworen hat. Aber in verstohlenes Kichern ausbricht, wenn der Mann auf der Bühne seinen Overhead-Projektor einschaltet und transparente Folien an die Wand projiziert. Denn auf der UBX Konferenz in München will man in erster Linie über „Useful Brand Experience“ sprechen und darüber, wie Marken für Konsumenten erlebbar werden.
Wo Beamer Projektoren und PowerPoint-Präsentationen Handouts abgelöst haben, ist die Frage nach dem Verhältnis Mensch – Marke scheinbar längst geklärt: Suchmaschinenoptimierung (SEO), Personalisierung und Displaywerbung sind nur einige Maßnahmen, mit denen das Kommunikations-Nadelöhr zum Endverbraucher passiert werden soll. In der Praxis hat das jedoch zu einem digitalen Drängeln geführt und dem verzweifelten Versuch, täglich tausende von (Werbe-)Botschaften publikumswirksam zu platzieren. Augen und Ohren sind dabei einer wahren Informationsflut aus News, Pop-ups, Streamingdiensten, Podcasts etc. ausgesetzt – gleichsam die einzigen der fünf Sinne, die überhaupt virtuell-digital berührt werden können. Das weiß auch der promovierte Biologe (Fachbereich „Spinnenforschung“) Kaps.
Polaroid: The Impossible Project
Als die Traditionsmarke Polaroid die Produktion der Sofortbildfilme einstellte, übernahmen er und zwei Geschäftspartner das einzig verbliebene Firmenwerk in den Niederlanden. Und machten sich 2008 daran („The Impossible Project“), die analoge Fotografie durch die Entwicklung eines neuen Filmmaterials wiederzubeleben bzw. fortzusetzen. Mit Erfolg. Doch wie lässt sich dieser ungeachtet von Qualitätsmerkmalen, kluger Vermarktung und einem tragfähigen Netzwerk erklären? Der Naturwissenschaftler hat dazu in München eine spannende These präsentiert – fernab vom romantischen Retrofeeling der so gerne als ewig Gestrige bezeichneten Sammler, Liebhaber und Horter.
Nach Florian Kaps sei man lange Zeit der Ansicht gewesen, alles Analoge – darunter Schallplatten und Fotos – würde spätestens dann verschwinden, wenn das Digitale so gut sei wie das Analoge. Ein Irrtum, wie das Impossible Project zeigt. Denn in der Praxis sehnen sich die Menschen danach, alle fünf Sinne zu gebrauchen, wollen nicht nur sehen und hören, sondern auch riechen, schmecken und fühlen, wollen ihre Umwelt real und allumfassend erfahren. Die Suche nach Reizung sämtlicher Sinnesorgane außer Augen und Ohren ist ein multisensorischer Reflex, den das Digitale in seiner Gesamtheit allerdings nicht erzeugen kann: Gänsehaut ausgeschlossen. Denn das Digitale kitzelt schlichtweg drei von fünf Sinnen nicht. Wer umgekehrt aber jemals einen starken analogen Reiz erfahren hat, wird diesen oft sein ganzes Leben nicht mehr los.
Trust your own senses oder das Comeback der Realität
Welche Auswirkungen dieses Verhalten hat, untersucht Kaps in Wien. Als Mitgründer von Supersense hat er einen Testort für Experimente im Dogenhof (Praterstraße) ins Leben gerufen, der die Chancen des Analogen in den Blick nimmt und Interessenten sensorisch am Herstellungsprozess von Gütern wie Schallplatten und Postern teilhaben lässt – eine (haptische) Erlebniswelt, in der es nach Farbe genauso wie nach Kaffee oder nach Acetat riecht, das bei der Vinylherstellung zum Einsatz kommt. Überhaupt ist es der Geruchssinn, der am stärksten mit dem Gedächtnis verknüpft sei, erfahren die UBX-Besucher unter Verweis auf die Geruchsforscherin Sissel Tolaas. Aus diesem Grund spult uns beispielsweise der Duft von Omas Apfelkuchen bis ans Ende unserer Tage in eben jene unserer Kindheit zurück. Mitsamt den Emotionen des Moments. Was heißt das nun aber für unser Verhältnis zu den Dingen? In einem Interview mit dem Online-Magazin Freunde von Freunden beschreibt der Unternehmer dieses wie folgt:
„Das Digitale ist für mich oberflächlicher. Natürlich ist es schneller und das hat bestimmt auch seine Vorteile. Vielleicht passt dieses Bild ganz gut: Wenn man im Auto fährt oder unterwegs ist, hört man Musik per MP3 oder eine CD. Aber wenn man nach Hause kommt, ein schönes Essen zubereitet, ein Glas Rotwein dazu trinkt, dann legt man eine Schallplatte auf. Das hat für mich mehr Tiefe, es hat etwas von Innehalten in einer immer schnelleren Welt.“
Die Zahlen scheinen Florian Kaps recht zu geben. Nach einem Artikel der Süddeutschen Zeitung ist der Anteil der verkauften Schallplatten von 400.000 Stück im Jahr 2006 auf 3,1 Millionen im Jahr 2016 angestiegen. Das hat natürlich nicht nur sinnliche Ursachen:
„Die Vinyl-Renaissance hat mehrere Gründe. Viele Musikfans schwören auf den angeblich besseren Sound von LPs. Ihnen gilt die Platte als Genussmittel, als Erlebnis und Möglichkeit, Musik bewusster zu hören. Einige zelebrieren schon das Auflegen einer LP geradezu. Und auch Künstler und Musiklabels befeuern die Rückkehr: Weil sie mit CDs weniger verdienen, suchen sie nach Alternativen. Alben werden daher zunehmend als Vinyl-Sondereditionen auf den Markt gebracht.“
Zum Anfassen: Wirklichkeitsmedien
Der wirtschaftliche Gedanke hinter der Belebung von – im digitalen Zeitalter fast historisch anmutender – „Mangelware“ ist also ein geschickter Schachzug, der auf Sinne und Geldbeutel gleichermaßen und damit auf fruchtbaren Boden trifft. Das zeigen auch die zahlreichen Neuveröffentlichungen im Printbereich, allen voran Titel wie Hygge (Das Magazin für das einfache Glück) und Cord (vormals Wolf), das selbsternannte Männermagazin für das Wesentliche. Gewiss, bei diesen Datenträgern handelt es sich selbstverständlich nicht um Mangelware. Ihr Untergang und mit ihm das Verschwinden der Printmedien wurde und wird jedoch wiederholt prophezeit – und das, obwohl die Wohlfühlzeitschriften in ihren Geschichten zahlreiche analoge Momente äußerst lebendig und greifbar auf Papier vereinen; herausnehmbare Extras wie Karten oder Lesezeichen zum Anfassen inklusive. „Alle Sinne anzusprechen – so gut wie Print kann das kein Medium“, bilanziert dementsprechend das Branchenmagazin Werben & Verkaufen (Irmela Schwab: So innovativ. In: W&V vom 6.11.2017, 24). Es sei die Haptik, die Print unschlagbar und Druckerzeugnisse zu Wirklichkeitsmedien mache, ergänzt Andrea Malgara, Geschäftsführer von Mediaplus, weiter.
Wer sich ehrlich eingesteht, dass er gerne in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern blättert, im Bullet Journal zeichnet, auf die Sofortbildkamera drückt, Stoffe verarbeitet oder in alten Vinylbeständen stöbert, gewinnt ein Stück Autonomie und Selbstbestimmtheit sowie eine gewisse Form von Leichtigkeit zurück. Gegenüber geschickten Marketingstrategen, die uns mit viel neurowissenschaftlichem Hintergrundwissen vorschnell zum Kaufen von noch mehr Erlebniswelten verführen wollen. Und gegenüber der persönlichen Auslegung und Definition von Minimalismus, die sich oftmals in einem Abhängigkeits- bzw. Wettbewerbsverhältnis von gesellschaftlichen Wertvorstellungen befindet.
Was für mich wertvoll und wichtig ist, bestimme am Ende nur ich selbst. Nicht besinnungslos, aber mit allen Sinnen.