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#Reset 2. Maximalistisches Wunderland

Ich habe eine Weile überlegt, welcher Titel für diesen Beitrag am besten passt. Ein beliebtes Stilmittel unter Schreiberlingen: „x Dinge, die ihr noch nicht über mich wusstet.“ Weil x in diesem Fall = 1 ist und das WordPress-Theme zu lange Headlines mit einer unschönen Darstellung abstraft, oute ich mich eben sofort. Denn manchmal wünscht sich der Minimalist in mir ein maximalistisches Wunderland. (Schlaraffen-, Schlummer- und Lummer-Varianten je nach Gemütszustand inklusive).

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust
Da der Umzug immer näherrückt, versuchen Herr M21er und ich beim Ausmisten weiter Gas zu geben. Ein Satz, der beinahe täglich fällt: „Jetzt geht es ans Eingemachte!“ Was so viel heißt wie: Jetzt packen wir die Dinge an, die weh tun, emotional aufgeladen und somit massiv mit Erinnerungen bzw. Gefühlen verbunden sind. Der Lieblings-Comic aus Kindertagen, verknickt, verschmiert und vergilbt dank langer Sommertage im Freibad sowie fettigen Pommes-Schranke-Fingern. Die Autosammlung von Märklin, mit der man(n) einst das ganze Wohnzimmer in Beschlag genommen und sich wilde Rennen mit Thomas und Jari aus dem Nachbarhaus geliefert hatte. Alte Briefe vom alten Leben mit alten Lieben, das Abi-T-Shirt, die geerbte Lieblingsvase von Oma, der tunesische Aschenbecher – Zeuge längst vergangener Urlaube und abgelegter Laster, Spiegel für die Zeit, die wir hatten. Unser intensives Entrümpeln ist momentan wie eine Reise in die Vergangenheit. An vielen Stellen schlagen wir die verschiedenen Kapitel unseres Lebens auf, holen Erinnerungen hoch, lachen über komische, trauern ein wenig über andere Momente.

Sprint

Herr M21er sagt „Auf Wiedersehen“ zu seinen Märklin-Schätzen

Konfrontation mit dem Konzept Endlichkeit
Was wir in diesen Tagen und Wochen wieder verstärkt spüren, ist: Entrümpeln und minimalisieren heißt nicht nur, sich auf das Wesentliche oder Nötigste, auf die Lieblingsstücke oder eine bestimmte Anzahl von Besitztümern zu beschränken. Reduzieren und downshiften heißt auch anzuerkennen, dass im Leben nicht für alles Platz ist. Wörtlich und übertragen. Es heißt, die Endlichkeit der eigenen Existenz anzuerkennen, das Nicht-Festhalten-Können der persönlichen Biographie in ihrer gesamten Bandbreite. Und trotzdem. Trotzdem wünsche ich mir manchmal, genau das tun zu können. Liebgewonnene und Liebgewonnenes ein Leben lang zu bewahren.
Meine Idee für den materiellen Aspekt dieser Überlegung: ein maximalistisches Wunderland. Ein „Self Storage“ in den eigenen vier Wänden. Ein Raum nur für mich und den sentimentalen Sammler in mir. Eine Exit-Möglichkeit, die mir eine Parallelwelt neben einem ansonsten vollständig entrümpelten Zuhause erlaubt. Wann immer mir danach ist, könnte ich zu jeder Tages- und Nachtzeit dieses Zimmer betreten und die Zeugen meiner pre-minimalistischen Vergangenheit um mich scharren. Könnte kichernd in alten Kisten wühlen, stundenlang in historischen Dokumenten stöbern und heimlich mit Herrn M21er die Spielzeugrennbahn zum Glühen bringen. Der Raum wäre vollgepackt mit Herzensangelegenheiten, von denen niemand etwas ahnt und die keine Entscheidung in Sachen Bleiberecht von mir fordern würden. Der passende Blogname zum Thema: Maximalismus24.

Denn wie heißt es schon in einem alten Volkslied: Die Gedanken sind frei …

#Reset. Alles auf Anfang. Die aktuelle Blogserie auf Minimalismus21.

Begleitet uns in den nächsten Wochen bei unserem Einzug in ein neues Leben. Alle vorherigen Teile der Serie findet ihr unter dem Suchbegriff #Reset rechts oben (Lupe) und natürlich bei Twitter.

Nachlese: Das kann weg! (Rita Pohle)

Eines der ersten Bücher, das ich zum Thema Ausmisten bzw. Entrümpeln mit Begeisterung gelesen habe, stammt von Rita Pohle. Titel: „Weg damit! Die Seele befreien. In sieben Wochen das Leben entrümpeln“. Diese Lektüre ist mindestens fünf Jahre her. Jetzt hat die promovierte Philosophin einen neuen Ratgeber auf den Markt gebracht. Das kann weg! (Kösel, 9,99 Euro) bietet eine komprimierte Zusammenfassung für alle, die sich von unnötigem Ballast befreien sowie kurz und bündig über die Schwerpunkte Loslassen, aufräumen und Freiräume schaffen informieren möchten.

Ordnung liegt im Auge des Betrachters
Auf rund 40 Seiten führt die ausgebildete Systemische Therapeutin ihre Leser im Schnelldurchlauf an sämtlichen Brandherden menschlicher Sammelei vorbei. Ihr Plädoyer: „Weg mit allem, was Sie belastet!“ Denn nach Pohle schafft Entrümpeln Platz für Neues, Freiraum für Veränderung sowie die Möglichkeit, sich über bestimmte Situationen Klarheit zu verschaffen. Um diese Prozesse zu unterstützen, arbeitet sie inhaltlich bzw. konzeptionell verstärkt mit Fragen. Sammler und Horter sollen sich bewusst werden, wie sich ihr persönlicher Umgang mit den Dingen gestaltet, wie sie Ballast definieren, welche Gegenstände ihnen wirklich etwas bedeuten und wer oder was die eigene Person am Loslassen hindert. Typische Verhaltensweisen werden in knapper Sprache entlarvt, darunter die Angst vor Veränderungen und der Variablen „Unbekannt“.
Die Autorin verwendet in diesem Zusammenhang den interessanten Begriff „Schwellenhüter“, der unsere inneren Einwände und Blockaden auf dem Weg zu einem neuen Lebensentwurf beschreibt – etwa wenn es darum geht, Besitz wegzugeben oder gar wegzuwerfen. Hilfsmittel wie die altbekannte „3-Kisten-Methode“, ein „Familien-Entrümpeltag“ oder sogenannte „Tabuflächen“ (Min Tang) versprechen hier Abhilfe. Dabei beschränkt sich das Buch jedoch keinesfalls nur auf den physischen Bestand in den eigenen vier Wänden, sondern beinhaltet auch Kapitel zu digitalem Müll, übervollen Terminkalendern und Adressbüchern.

Ordnung als ständiger Prozess
Zur visuellen Unterstützung hat sich Pohle Illustrator und Trickfilmer Kai Pannen an die Seite geholt, der dem Thema mit seinen Zeichnungen die inhaltliche Schärfe nimmt. Das kann weg! bietet einen ersten, lockeren Einstieg in die Materie ohne erhobenen moralischen Zeigefinger und eignet sich daher gut als unverfängliches Geschenk. Die optische Umsetzung hebt sich deutlich von der zumeist cleanen Aufmachung anderer Publikationen ab und verleiht dem Pappband etwas Spielerisches.

Fazit: Kurzweiliger erster Einstieg für Schnellleser und interessierte Laien rund um die Themenkomplexe Ordnung, Konsumverzicht, Downshifting, Kleinkram-Kampf, Clean Desk, Digital Detox, Capsule Wardrobe und Co.

Getreu dem Motto verlost Minimalismus21 drei Exemplare von Das kann weg!
Hinterlasse einfach einen Kommentar mit Deiner E-Mail-Adresse und schreibe uns, warum ausgerechnet Du den Ratgeber brauchst. Der/die GewinnerIn wird schriftlich benachrichtigt.

Teilnahmeschluss ist der 15. Mai 2016. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!
Für das Rezensionsexemplar und die Unterstützung durch den Kösel Verlag bedanken wir uns ganz herzlich.

#Reset 1: Kitchen Stories

Frau W. ist die aktuelle Mieterin unserer neuen vier Wände. Auf die haben wir über 3650 Tage gewartet. Also auf die Wände. Und Frau W. hat eine Küche, die sie loswerden möchte. Und in der sitzen wir etwa eineinhalb Wochen, nachdem der Vorstand der Genossenschaft unseren Wohnungstausch abgesegnet hat. Wir werden freundlich empfangen, beglückwünscht und gefragt, ob wir ein Glas Wein möchten. Da Herr M21er Kopfschmerzen hat und ich mich im Status chemischer Rest-Rekonvaleszenz befinde, lehnen wir jedoch dankend ab. In medias res gehen wir deswegen aber nicht sofort. Ich spüre: Die Vormieterin in spe hängt an ihrer alten Heimat, die sie verlässt, an ihrer Wohnung mit leichtem Altbaucharakter und an ihrer Edelstahl-Küche. Bei der war sie allein für die passenden Schubladengriffe im minimalistischen Industriedesign wochenlang auf der Suche.  Ich mag die Architektin mit Geschmack sofort.

Eine gute Küche ist das Fundament allen Glücks (G. A. Escoffier)
Noch mehr mag ich jedoch die Vorstellung, dass Herd und Co. im Begriff sind, die Eigentümer zu wechseln. Aus Respekt vor Frau Ws. Wehmut übe ich mich jedoch selbst dann in emotionaler Impulskontrolle, als wir den wirklich fairen Preis für die Ablöse erfahren. Die Win-win-Situation ist eindeutig. Um meinen positiven Gefühlen etwas legitimen Raum zu verschaffen und die Stimmung aufzulockern, erzähle ich von unserer jetzigen Küche: 16 Jahre alt, Typenbezeichnung „Apfel Calvados“. Die Architektin guckt ein wenig irritiert und merkt an, dass klinge irgendwie nach „Granny Smith“ – was Herrn M21er ein leicht säuerliches Lächeln entlockt. Wie passend. Denn tatsächlich ist die mittelbraune Sperrholzfurnier-Ausstattung von Quelle zu Studentenzeiten die beste und günstigste Lösung gewesen. Sentimentalitäten kommen bei diesem Gedanken nicht auf. Apfel Calvados passt weder in die neuen vier Wände noch zu unserem heutigen Geschmack. Da mich selbst zwei Jahre Hauswirtschaft als Schülerin nie an die „Materie“ herangeführt haben, ich keine Lust habe, stundenlang durch Küchenstudios zu streifen und unnötig Geld bzw. Ressourcen zu verschwenden, nehme ich „Edelstahl matt gebürstet“ mit Kusshand. Komisch, dass wir nicht mit Apfelbranntwein aufs Geschäft angestoßen haben. #Küchenminimalismus eben.

Die 2-Kilo-Regel
Bevor wir das kulinarische Hab und Gut in Beschlag nehmen können, ist nach wie vor einiges zu tun. Auf beiden Seiten. Frau W. ist in Redelaune gekommen und hadert mit dem restlichen Krempel, den sie noch in ihr neues Dachgeschoss nach NRW bringen muss. Es fallen emotionale Sätze wie: „Woher kommt das ganze Zeug?“ Oder: „Also irgendwie fühlt man sich fast ein bisschen schlecht, dass es soweit gekommen ist.“ Zwei Besucher-Köpfe nicken voller Empathie im Takt. Ihre Strategie der letzten Wochen: Die 2-Kilo-Regel. Trage jeden Tag beim Verlassen des Hauses vier Pfund Plunder aus deiner Wohnung. Zum Müll, zum Wertstoffhof, zum Verschenken an Nachbarn und Freunde etc. Ich denke an meine drei gewichtigen Bücher Wälzer, die ich im Internet versteigert und just an diesem Tag zum Briefkasten gebracht habe. Nach dieser Rechnung können wir erst 2017 umziehen. Ende 2017. Also frühestens.

#Reset. Alles auf Anfang. Die aktuelle Blogserie auf Minimalismus21.

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