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#Reset. Alles auf Anfang

Seit zwei Tagen steht fest: Herr M21er und ich ziehen um. Zehn Jahre haben wir auf diesen Moment gewartet: mal mehr, mal weniger. In den letzten Monaten und Wochen wurde der Wunsch, Arbeiten und Leben in den eigenen vier Wänden besser trennen zu können, allerdings immer stärker. Wer 50 Prozent seines Jobs zu Hause arbeiten muss ohne Aussicht auf Alternativen, weiß, was ich meine. Am Freitag kam der langersehnte Anruf: „Der Vorstand hat Sie bei der Vergabe berücksichtigt.“ Konkret bedeutet das: Wir tauschen die bisherige Bleibe im wahrsten Sinne des Wortes gegen eine andere Wohnung. Unser Vermieter: eine Münchner Genossenschaft. Doch dazu vielleicht an anderer Stelle einmal mehr.

Wie wenig ist genug?
Was in den letzten 48 Stunden nach der frohen Botschaft in Bewegung gekommen ist, ist ein wahrer Mischmasch aus Gefühlen gepaart mit einer nahezu bedrohlichen Energie, wobei ich aktuell nicht für Punkt zwei stehe. Vor eineinhalb Wochen bin ich unerwartet im Krankenhaus gelandet, kämpfe mit starken Schmerzen, massivem Fieber und werde dabei zwangsweise zur lebenden Chemiekeule auf zwei Beinen. Das Bett verlassen? Daran soll ich momentan nicht einmal denken, sagt der Arzt. Also denke ich wenigstens im Bett, grüble stundenlang über die neue Behausung nach und frage mich, ob ich den Sprung schaffe. Seit 2009 sortieren, misten, reduzieren, entrümpeln und trennen wir uns. Von alten Mustern und jeder Menge Besitz. Am Anfang in kleinen, vorsichtigen Schritten. Mittlerweile in vielen Momenten nahezu emotionslos, rational und strategisch. Wann ich dafür den Begriff „Minimalismus“ bewusst verwendet habe, kann ich rückblickend gar nicht mehr sagen – denn eigentlich bin ich kein Freund von Schubladen und Kategorien, in die unsere Gesellschaft Lebensmodelle oftmals allzu gerne pressen möchte. Manchmal hilft es allerdings, die Dinge (endlich) benennen zu können, sie zu verbalisieren. Wörter können Schubkraft entwickeln, ein Katalysator sein, um den inneren und äußeren Prozess anzukurbeln. Und Wörter können dazu dienen, die richtigen Fragen zu formulieren. Nämlich: Wie wenig ist genug? Und Antworten zu geben: Genug ist nicht genug. Der Umzug in spe fordert mich heraus. Ich habe das Gefühl: Jetzt gilt es. Jetzt wird sich zeigen, wie weit mein Minimalismus und ich wirklich sind. Die Augen partiell schließen? Pustekuchen!

Genug ist nicht genug
Schon lange habe ich eine relativ klare Vorstellung davon, wie ich mir mein direktes Lebensumfeld vorstelle. Clean, mit reduzierten Farben und wenig Chichi. Kurz: Eine nüchterne Atmosphäre gepaart mit einem schlichten Look als ruhige Kulisse und Hintergrund für ein entrümpeltes Zuhause. My home should be my hotel. Aber die Sache hat einen Haken. Ich bin definitiv noch nicht so weit. Ich habe noch nicht genug losgelassen, um diese minimalistische Vision in letzter Konsequenz zu leben. Aber jetzt stellt mich das Schicksal auf die Probe. Und ja, ich nehme die Challenge an. Für mich ist die räumliche Veränderung eine Chance, die ich nutzen möchte. Rund zehn Wochen habe ich Zeit, um dem restlichen „Clutter“ den Kampf anzusagen. Und Herr M21er legt dabei ordentlich vor. Während ich mit meiner Rekonvaleszenz kämpfe, mit Ungeduld und Frust über die unfreiwillige Au(s)zeit, ist er nicht mehr zu halten. Keine zwei Tage nach der frohen Botschaft stapeln sich hier schon Bücherberge, Küchenutensilien, Kellerleichen etc. Warten darauf, in „Darf bleiben“, „Unentschlossen“ und „Darf weg“ kategorisiert zu werden. Manchmal machen Schubladen eben doch Sinn.

#Reset. Alles auf Anfang. Die aktuelle Blogserie auf Minimalismus21.

Begleitet uns in den nächsten Wochen bei unserem Einzug in ein neues Leben. Und postet gerne Eure Tipps zum Thema in der Kommentarbox.

Herr der Dinge. Eine Minimalismus-Trilogie

 „Alles was du besitzt, besitzt irgendwann dich.“

Es gibt nur wenig Zitate, die das Verhältnis zu meinem Hab und Gut treffend(er) beschreiben. Kaum zu glauben, dass es über 15 Jahre her ist, seit Fight Club über die Kinoleinwand flimmerte. Damals war ich noch weit davon entfernt, mein Leben minimalistisch zu gestalten: Ich steckte mitten im Studium. Meine finanzielle Situation erlaubte mir weder große materielle Sprünge noch übermäßige Hamsterkäufe. Schnäppchenjagden auf dem Flohmarkt waren ein probates Mittel, um meinen kargen Geldbeutel zu schonen. Retrospektiv betrachtet stellen sie eine wichtige Phase meiner  Konsumsozialisation dar, die ich nicht missen möchte. Alles hat eben seine Zeit.

Was ich 1999 noch nicht wusste: Alles was du hast, hat irgendwann dich. Was ich mich kurz vor der Jahrtausendwende noch nicht fragte: Besitze ich die Dinge oder besitzen die Dinge mich? Und was ich erst 2015 lernte: Man kann die Dinge nicht konservieren. Eine Trilogie der Erkenntnisse.

1. Alles was du hast, hat irgendwann dich.
Jede Minimalistin und jeder Minimalist weiß sofort, was ich meine. Nehmen wir dennoch ein Paradebeispiel wie die zerbrechliche Porzellansammlung aus dem Nachlass von Person x. Sie will regelmäßig vorsichtig verrückt und mit Fingerspitzengefühl entstaubt werden. Auf einer – wie wir Geisteswissenschaftler so schön zu sagen pflegen – „Metaebene“ steht sie „pars pro toto“ für die Unmengen an Krempel, die bereits qua reiner Existenz regelmäßig irgendetwas von einem fordern: Pflege, Zeit, Nerven, Geduld etc. Kurzum: Deine Aufmerksamkeit. Und die könnten wir anderweitig meist weitaus besser verteilen. Das Sprichwort „Es frisst ja kein Brot!“ verkommt damit zur Ausrede, um eigentlich unnütze Dinge anzuschaffen oder zu horten.

@Aussortierer, Entrümpler, Anti-Horter: Nackenhaare down ;-).

2. Besitze ich die Dinge oder besitzen die Dinge mich?
= die logische Frage, die sich spätestens jetzt stellt. Fakt ist: Manchmal wachsen einem die Dinge nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtliche Sinne über den Kopf. Und manchmal merkt man das erst, wenn man das Steuer aus der Hand gegeben hat. Wer zu viel besitzt, sitzt oft nicht mehr im Fahrersitz. Er bestimmt nicht sein Leben, sondern wird bestimmt. Alles nur Platitüden? Keinesweg!
Wenn ich mein Eigentum nicht mehr adäquat nutzen kann, weil mir – wie in meinem Fall – oftmals schlichtweg die Zeit fehlt, mutieren etwa die Sammeltassen – zum Glück nicht in meinem Haushalt – zu einer lähmenden Fußfessel. Bei jedem Schritt muss ich extrem viel Kraft aufwenden, um einen Fuß vor den anderen zu setzen und mich durch den Morast von Ballast zu kämpfen. Mit Leichtigkeit hat das nicht mehr viel zu tun. Die Dinge mutieren zu Mauern eines allzu sichtbaren Labyrinthes, in dem ich wie der Minotaurus umherirre – unfähig, den Ausgang zu finden. Kommen Sucht und Zwang dazu, Probleme mit Nicht-Wegwerfen und Horten, versinkt das Leben schlimmstenfalls in völliger Desorganisation bis hin zum Messie-Syndrom.

3. Man kann die Dinge nicht konservieren.
Ich hatte es ja schon an anderer Stelle geschrieben: 2015 endete für mich die Doppelbelastung durch Vollzeitjob und Dissertationsprojekt. Nach vielen Jahren, in denen ich geistig und arbeitstechnisch mehr als zweigleisig gefahren bin, kehrt endlich wieder Luft in mein Leben und zum Durchatmen zurück. Letzteres gelingt mir am besten, wenn ich mir den notwendigen Freiraum dafür schaffe. Aber dieser Raum hat es in sich. Denn de facto ist er noch mit Sachen gefüllt, die ich mir aufgehoben habe. Bücher, die ich lesen, Musik, die ich hören, Filme, die ich sehen wollte. Für die Zeit nach der Promotion. Für „Wenn-dann-Momente“.
Jetzt sind die ersten dieser Momente da. Und plötzlich spüre ich: Ich habe mich verändert. Habe neue Erfahrungen gesammelt, andere Interessen entwickelt, Schwerpunkte verschoben. Das ist schmerzhaft und schön zugleich. Schmerzhaft, weil ich viel stärker spüre, dass man im Leben tatsächlich nichts festhalten kann. Schmerzhaft und schön, weil sich die Welt stetig weitergedreht hat, Strömungen und Themen kamen und gingen – egal, wie sehr ich mich in meinem straff durchorganisiertem Alltag zwischen Uni- und Medienwelt eingeigelt hatte. Schön, weil ich verstanden habe, dass das Leben bunt, vielfältig, neu, anders ist. Zumindest, wenn man sich von alten Zöpfen trennen kann.

Alles, was du hast, musst du irgendwann loslassen.

Konsumfalle Wetter: Vorhersage Minimalismus

Heute schon aufs Thermometer geguckt? Nein? Solltet ihr aber. Denn auch das Wetter beeinflusst unser Kaufverhalten. Das habe ich vor ein paar Wochen bei einem beruflichen Vortrag gelernt. Anlass war der Launch eines – im weitesten Sinne – Produktes und die Frage, wie man sich damit einhergehende Userdaten gewinnbringend zu Nutze machen kann.

Schönem Wetter und Fürstenlächeln ist nicht zu trauen
Seit ich mich mit Minimalismus beschäftige, bewegt mich das Wie, Weshalb und Warum meines Konsumlebens weitaus mehr als früher. Denn wer verstanden hat, wann er selbst v.a. in die Frust-, Lust-, Langeweile-, Impuls- oder sonstige Shoppingfalle tappt, kann unnötige Einkäufe leichter vermeiden und besser zwischen sog. „Needs und Wants“ unterscheiden. So zeigen entsprechende Studien, dass E-Commerce-Plattformen etwa bei kalten und regnerischen Tagen von höheren Besucherzahlen profitieren. Frei nach dem Motto: „Bei diesem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür.“ Aber den willigen Geist durch die (trockenen) Weiten des World Wide Web. Die aromatisch klingende und Wohligkeit versprechende Biotrinkschokolade oder die kuschelige Wolldecke zum Schnäppchenpreis sind dabei nur einen Klick weit entfernt. Die passende Werbung für die angestrebte Zielgruppe auch. Wie man sich bettet, so lebt man.

Umgekehrt beflügelt der herannahende Frühling Körper und Psyche derart, dass wir – in bester Flirtlaune und leicht beschwingt – gerne auch verstärkt mit der einen oder anderen Anschaffung liebäugeln: Das hübsche Trägerkleid in der schicken Schaufensterauslage, das unbeschwerte Sommerabende und einen schmeichelnden, kühlen Stoff auf gebräunter Haut verspricht. Der Smoothie to go, dessen exotische bunte Früchte uns Plastikbecher samt graue Wintertage endlich vergessen lassen. Klima und Witterung sind eindeutig emotionale Komplizen der Konsumgüterindustrie und wirken sich unmittelbar auf unser Kaufverhalten aus.

Wer wissen will, wie Deutschland in Echtzeit konsumiert, wirft am besten einen Blick auf kaufDA.de. Oder hält innere Zwiesprache mit dem Wetterfrosch. Die Gefahr für einen Fehlkauf wird damit schnell zum Schnee von gestern.