Alle Artikel mit dem Schlagwort: Minimalismus

Mehr Unordnung für Ordnung

Für mich ist beim Einrichten und Gestalten weniger eindeutig mehr. Ein buntes Sammelsurium herumstehender Dinge? Mein absoluter Albtraum. Viel lieber platziere ich bewusst ausgesuchte Deko-Gegenstände auf den Oberflächen meiner Möbel. So fühle ich mich wohl, habe schöne Blickpunkte und eine pflegeleichte Einrichtung. Sich selbst dafür zu entscheiden, ausschließlich ausgesuchte Dinge ins Haus zu holen, funktioniert wunderbar einfach. Bedeutend schwieriger wird es, mit all den Sachen, die tagtäglich von anderen an einen herangetragen werden, umzugehen. Familie, Freunde, Bekannte: Alle, die mich kennen, wissen beispielsweise von meinem Faible für gut gebaute Wohngegenstände. Deshalb werde ich regelmäßig mit Deko überrascht – in welcher Form und Farbe auch immer; bekomme ungefragt Vasen, Sammelfiguren, Blumentöpfe, Deko-Teller etc. Früher brachte mich das regelmäßig in eine moralische Zwickmühle: Einerseits freute es mich natürlich, wenn jemand an mich und meine Interessen dachte. Andererseits nervte es mit der Zeit immer heftiger, wenn ich ungefragt mit Dingen zwangsbeglückt wurde, für die ich mich niemals freiwillig entschieden hätte. Was soll ich mit all dem Zeug? Lange Zeit habe ich für jedes erhaltene Deko-Stück in Regalfächern, auf …

Nachlese: Herrschaft der Dinge (Frank Trentmann)

Wie schreibt man eigentlich Konsumgeschichte in einem Zeitalter, in dem wir von einem stetig wachsenden Berg von Dingen umgeben sind? Vielleicht als Geschichte eines Beziehungs- bzw. Bedeutungswandels, als Historie der Veränderung und als Beitrag zu einer historischen Debatte. Letztgenannte begann übrigens nicht erst im 21. Jahrhundert, wo sich – so der deutsche Historiker Frank Trentmann (Professor für Geschichte am Birkbeck College der Universität London) – zwei Lager gegenüberstehen und mit ihm zwei Arten von Konsumenten. 1. Der passive, durch Kaufen, Billigkredite, Markenbildung und Werbung gelangweilte Konsument. 2. Der demokratische Wohlstandsbürger, der als Teil des Marktes unbehelligt seiner Wahlfreiheit frönt, Kinder und ältere Menschen als besondere Zielgruppen mitgedacht. Egal, wie die persönliche Einordnung ausfällt: Einkaufen und Konsumieren sind keineswegs Akte geistloser Akkumulation, sondern haben identitätsbildenden Charakter. Menschen finden sich, das zeigen anthropologische Studien in Überflussgesellschaften, in ihren Besitztümern wieder und drücken sich durch sie aus. Dazu gehört auch, Dinge zu personalisieren und sich eine Erinnerungskultur zu schaffen, etwa wenn Materielles von Generation zu Generation weitervererbt wird. Im 15. Jahrhundert genauso wie heute. Erwerb, Nachschub, Verbrauch Aus …

Minimalismus, jetzt

Ich weiß nicht, ob die Sonne an diesem Morgen heller leuchtete. Die Vögel lauter sangen. Die Menschen fröhlicher wirkten. Ich vermag nicht zu sagen, ob meine persönliche Wahrnehmung auf positiven Autofokus umgeschaltet hatte. Wahrscheinlich ist, dass ich tatsächlich mit aller Macht versuchte, die negativen Gedanken zu verdrängen. Denn vor einiger Zeit hatte ich das Schicksal herausgefordert. Ihm direkt ins Gesicht gesehen und festgestellt, ich könnte gehen. Ja, es wäre nicht mehr so schlimm, wenn es ab sofort aus und vorbei wäre, die Reise zu Ende, der Weg beschritten. Denn mein Minimalismus und ich, wir haben auf vieles verzichtet, um uns vieles zu erfüllen. So viel, dass immer noch genug Neugierde und Erwartung offen sind. So viel, dass „Wenn dann“ und „Hätte“ auf ein erträgliches Maß schrumpfen konnten. Für einige meiner Mitmenschen stellen sich diese Überlegungen seit dem vergangenen Jahr allerdings schon nicht mehr. Sie mussten gehen oder wollten. Wobei das „Wollten“ am schwierigsten zu begreifen ist. Denn etwas zu wollen setzt eine Freiwilligkeit voraus. Und die scheint medizinisch betrachtet höchst fragwürdig zu sein, wenn tiefe …