Immer schneller, immer billiger. Die internationale Textilindustrie ist alles andere als minimalistisch. 2018 wurden 62 Millionen Tonnen an Kleidung hergestellt. Für 2030 soll sich deren Anzahl bereits auf 102 Millionen belaufen. Das entspricht 500 Milliarden T-Shirts. Kann eine solche Menge überhaupt fair produziert werden? Definitiv nicht, sagt Kirsten Brodde, Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Als Konsumenten müssen wir einerseits „runter vom Tempo“ und andererseits ein neues Verhältnis zu unserer „zweiten Haut“ entwickeln. Und das ist nicht gleichzusetzen mit „nackt und barfuß laufen“, beruhigt Brodde.
Modefahrplan gegen Wegwerfmode
Zusammen mit dem Blogger Alf-Tobias Zahn (Großartig) hat die promovierte Mittfünfzigerin einen Guide für all diejenigen geschrieben, die Wegwerfmode satthaben. Einfach anziehend (oekom Verlag) möchte in 10 Schritten zum öko-fairen Kleiderschrank führen und gleichzeitig Awareness für die Missstände innerhalb der Textilindustrie schaffen. Einen ersten Einblick ins Thema gab die Autorin bei der Nacht der Umwelt im Münchner Klimaherbst 2018 – und fesselte das Publikum von Beginn an mit schockierenden Zahlen. So habe sich etwa von der Jahrtausendwende bis 2016 der Konsum von Kleidung verdoppelt, jedoch die Tragezeit halbiert.
Heute Trend, morgen Müll titelte dementsprechend das Nachrichtenmagazin Der Spiegel wiederholt in den vergangenen beiden Jahren, in denen Unternehmen wie H&M zeitgleich durch die gezielte Vernichtung textiler „Ladenhüter“ von sich reden machten. Ein ökologischer und ethischer Irrsinn, zumal dem Energiebedarf bei der Produktion von Kleidungsstücken ein äußerst klimarelevanter Impact zukommt, etwa durch Nassprozesse wie Färben; faire soziale Bedingungen für die NäherInnen vor Ort bzw. in Billiglohnländern noch überhaupt nicht mitgedacht.
Doch die dunklen Seiten dieses Industriezweiges finden auch direkt vor unserer Haustür statt, sagt Brodde. Bis zu 3.000 Chemikalien würden beim Waschen aus Hosen, Pullovern und Co. gespült, erst 15 Prozent der globalen Textilindustrie haben sich dem Thema „Entgiften und Chemie“ angenommen. Ein weltweiter Irrsinn, vor allem weil wir bis zu 40 Prozent unserer Kleidung ohnehin nie oder selten tragen. Warum also nicht einmal eine Kleidertauschparty besuchen, Dinge reparieren, verleihen, Secondhand und Vintage kaufen oder einfach auf Schatzsuche im eigenen Schrank gehen? Den „Kulturwandel in unseren Köpfen anstoßen“ nennt Brodde das und verweist dabei auf eine wichtige Komponente: „Shoppen macht nicht glücklich!“ Jedenfalls nur bedingt und niemals auf Dauer.
Wer das nicht glaubt, googelt vielleicht einmal die Frage „How long the shopping buzz lasts“. Folgerichtig versteht sich der Ratgeber von Brodde und Zahn nicht als Plädoyer, viel neu zu kaufen, selbst, wenn die Dinge öko und fair sowie mit einem entsprechenden Textilsiegel versehen sind, dessen Übersicht der Guide samt Händleradressen gleich mitliefert. In einem weiteren Serviceteil werden interessante Expertinnen und Experten sowie Vereine und Organisationen für „bessere Konsumentscheidungen“, darüber hinaus spannende Dokumentationen rund ums Thema wie The True Cost – Der Preis der Mode vorgestellt.
Kleiderschrank und Gedanken bezwingen
Kirsten Brodde appelliert an Kopf und Gefühl, um einen Wandel in Industrie und Kleiderschrank herbeizuführen. Die Expertin weiß, dass Menschen emotional überzeugt werden müssen, weil mit dem Kauf von Mode in vielen Fällen eine Sehnsucht, sich individuell auszudrücken, befriedigt werden soll. Wer sich zum Beispiel entscheidet, gebraucht einzukaufen, möchte Trend und/ oder Lebensgefühl mitunter gleich mit konsumieren.
Wo und wie bekommt man also die persönliche, eigene Stellschraube für Veränderung zu fassen? Die Lektüre kann erste Antworten darauf liefern. Denn ein Recht auf billige Kleidung gibt es für Brodde schon lange nicht mehr.
Für die Möglichkeit, das Druck-PDF zum Buch vor dem Erscheinungstermin am 1. Oktober 2018 sowie als Vorbereitung auf den Vortrag zu lesen, bedanken wir uns beim oekom Verlag.