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Nachlese: WINZIG (Sandra Leitte)

Innovative Häuser im Mini-Format versammelt WINZIG, eine Publikation der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) aus dem Sommer 2016. So viel sei gleich zu Beginn gesagt: Der Titel verspricht Kleines. Und beglückt den Leser am Ende mit etwas ganz Großartigem.

Weniger Besitz, mehr Leben
39 kleine und kleinste Tiny Houses aus der ganzen Welt hat die studierte Architektin Sandra Leitte in diesem wunderschönen Bildband zusammengestellt – von minimalistischen 4m² bis großzügigen 95m², von der Schweiz über Deutschland, Amerika bis hin zu Chile, Slowenien und Brasilien. Alle mit einer Kurzbeschreibung, mit Grundriss und/oder Querschnitt sowie Bildern zur Bauphase und/oder Inneneinrichtung samt lustigen Anekdoten über Bewohner und Besitzer, von denen man als i-Tüpfelchen an der einen oder anderen Stelle gerne noch mehr erfahren und gesehen hätte. Denn diese Publikation macht Kindheitsträume wahr, indem sie Baumhäuser und Puppenstuben in realistische, erwachsene Projekte verschiedener Designer und Architekten übersetzt, zu denen ein Alltag im Wohnwagen oder Hausboot ebenso gehört wie im Schiffscontainer und im antiken Cottage.
Alte Dinge werden und wurden in den letzten Jahren des 21. Jahrhunderts auf eine überraschende Art und Weise neu interpretiert, Formen und Funktionen aus der Natur kopiert, Ausgestaltung und Einrichtung mit klugen Konzepten auf das Nötigste beschränkt. Die Art des einzelnen Tiny Houses hängt dabei sehr stark von den baurechtlichen Verordnungen des jeweiligen Landes ab, die es Amerikanern bspw. erlaubt, ihr Modell auf einem Anhänger und damit auf Rädern zu bauen. Eine Mobilität, die in Deutschland (noch) undenkbar ist. Hierzulande bestechen dafür echte Designklassiker wie die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, die in den 1920er Jahren erbaut worden ist.

Entwurf MINIMOD (Minimal Modular) in Brasilien

Die Beweggründe, die Menschen zu einem Leben auf kleinstem Raum veranlassen, sind so verschieden wie international. Zu ihnen gehören finanzielle Überlegungen und Umweltschutz ebenso wie die bewusste Philosophie des „Less is more“. Themen wie Recycling, Nachhaltigkeit und eine ressourcenschonende Bauweise spielen in Leittes Buch vor diesem Hintergrund eine große Rolle und regen zum Nachdenken über alternative Wohnmodelle von Morgen an. Fairerweise sei jedoch gesagt, dass nicht alle vorgestellten Modelle als Vollzeitunterkunft taugen, manche vielmehr als reines Wochenend- oder Ferienhaus sowie als Schutzhütte angelegt sind. Der Großteil der vorgestellten Häuser geht mit einem großartigen Grundstück einher, was die eigentliche Wohnfläche optimal ins Freie erweitert und die eigentliche Fläche im – besser gesagt – am Grunde deutlich erweitert. Die Definition von Tiny House ist durchaus Ansichtssache.

Was das sog. „Downsizing“ am Ende allerdings ohne Zweifel immer mit sich bringt, ja notwendigerweise bringen muss, ist das Reduzieren des eigenen Besitzes. In diesem Sinne ist WINZIG so etwas wie eine Ode an die Freiheit, verpackt in einem haptischen Erlebnis, wie es in meinen Augen am Ende nur eine Printpublikation wirklich zu leisten vermag.
Mit rund 18 x 18 cm spielt das ungewöhnliche Format des gebundenen Buches mit Inhalt und Titel. An die 200 Farbfotos auf wertigem, dicken Papier regen alleine schon zum wiederholten Durchblättern und in die Hand nehmen an. Würde ich diese Rezension im Comicstil schreiben, wäre mein Fazit: Hach, stöhn, seufz, wie schön. Ein sinnliches Buch für kalte Winterabende und laue Sommernächte. Und für die Konzentration aufs Wesentliche.

Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns bei der Deutschen Verlags-Anstalt:

Sandra Leitte: WINZIG. Innovative Häuser im Mini-Format. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016 (29,99 Euro)

Minimalismus leben. Konsumfalle Kostenloskultur

Ich habe „Nein“ gesagt. Zu Dingen, die ich nicht brauche. Zu Events, die mein Leben nicht bereichern. Alle hatten eine (verlockende) Sache gemeinsam: Sie waren sehr günstig bis kostenlos. Doch bekanntlich gibt es im Leben nichts umsonst, weil jede Medaille am Ende zwei Seiten hat. Weil wir am Ende immer mit irgendetwas bezahlen: mit Daten, mit Müll, mit dem Preis für Pflege und/oder Entsorgung uvm. Drei Beispiele aus den vergangenen Wochen.

1. Du bist, was Du trinkst
Meine Firma hat einen neuen Anstrich bekommen, ein neues Branding, eine neue Dachmarke. Dieser sog. „Change Prozess“ wurde und wird von verschiedenen Maßnahmen begleitet, darunter der Einsatz bestimmter Unternehmensfarben. Die visuelle Identität und Stringenz ist ein wichtiger Teil von Corporate Identity und Corporate Design. Und spiegelt sich im besten Fall auch in entsprechenden Merchandising-Produkten wieder. In meinem Fall war das eine Trinkflasche in den beiden Primärfarben der Company. Sie wurde kostenlos an alle Mitarbeiter verteilt. Eigentlich eine schöne Idee, die von Wertschätzung und Ideenreichtum zeugt und die Firmenidentität unmittelbar erlebbar macht. Allerdings hatte die Sache einen dicken Haken. Zumindest für mich. Die Flasche bestand aus günstigem Kunststoff, einem Material, das viele Verbraucher mit geringem Gewicht, Bruchsicherheit und einfacher Handhabung in Verbindung bringen. Leider rücken die Schattenseiten bei der Verwendung von Plastikflaschen oftmals in den Hintergrund. Trinkgefäße dieser Art scheiden verschiedene Stoffe aus, die unmittelbar ins Wasser und damit in den Körper des Konsumenten gelangen. Von dem ökologischen Desaster, das dieser synthetisch hergestellte Stoff mit sich bringt, ganz zu schweigen.
Dennoch haben sich viele Kolleginnen und Kollegen wie die – sorry for that – sprichwörtlichen Geier auf das kostenlose Angebot gestürzt. Ein Kommentar: „Ob ich mir auch zwei nehmen kann?“ Worauf ich erwiderte: „Nimm meins, ich nehme keins!“ Welche Frage ich mir in diesem Zusammenhang stelle: Hätten die Flaschen den gleichen reißenden Absatz gefunden, wenn dafür ein Entgelt zu entrichten gewesen wäre? Rührt das Attribut „kostenlos“ derart an unseren menschlichen (Ur-)Instinkten, dass wir nicht mehr zwischen Needs und Wants unterscheiden können, also zwischen dem, was wir wirklich brauchen und dem, was wir einfach nur HABEN WOLLEN??? Fest steht: Der Großteil der gebrandeten Flüssigkeitsbehälter verschwand bereits nach kurzer Zeit sukzessive von der Bürofläche. Was u.a. daran lag, dass selbige nicht die Eigenschaft „spülmaschinenfest“ besaßen und nach einer heißen Runde im „cleanischen“ Durchlauferhitzer zu einem undefinierbaren Klumpen zusammengeschmolzen waren. Für mich ein Grund mehr, unüberlegte (Werbe-)Geschenke immer und grundsätzlich in Frage zu stellen.

Digital Detox: Der Content der alten Disketten wird gesichert

2. Digitales Entrümpeln
Wo wir schon beim Thema Arbeitgeber sind: Es hat eindeutige Vorteile, in einem Technikunternehmen zu arbeiten. Schon lange wollte ich meine restlichen Disketten sortieren, wichtige Dokumente sichern und die überflüssigen Datenträger entsorgen. Dumm nur, dass der aktuelle Laptop von Herrn M21er und mir kein entsprechendes Laufwerk mehr hat. Ein externes Lesegerät musste also her. Eigentlich kein Problem, denn sämtliche Versandriesen dieser Welt und lokale Elektronikfachgeschäfte haben dieses Produkt im Angebot. Und zwar für umme. Für schlappe 10 Euro lassen sich digitale Restbestände von einem Saurier-Rechner auf ein modernes Endgerät transferieren. Warum also nicht kaufen? Nun, weil der Prozess der Datenübertragung in unserem Hause endlich ist. Das heißt: Sobald wir den Content vollständig gesichert haben, hat das externe Lesegerät seinen Dienst getan. Und schlummert als würdiger Krempelersatz anstelle der Disketten in unseren Schubladen. Nicht gerade eine nachhaltige Win-win-Situation. Dennoch hat meine Entscheidung gegen ein „Das-kostet-doch-nur-10-Euro-Gerät“ vereinzelt Verwunderung ausgelöst. Billig, einfach und schnell verfügbar wirkt offenbar ähnlich verlockend wie die Eigenschaft kostenlos in Sachen Konsum. Am Ende hat mir ein netter Kollege ein altes Laufwerk geliehen, das uns perfekte Dienste erwiesen hat. Und unseren Haushalt nach getaner Arbeit ohne „duplicated content“ und unnötige Ressourcenverschwendung wieder verlassen konnte.

3. #MoreMoments nicht um jeden Preis
Auch der dritte Punkt hat etwas mit unseren Jobs zu tun. Als Schulmeister – wie sich der Herr M21er selbst bezeichnet – darf er regelmäßig umsonst ins Kino gehen. Der Münchner Mathäser Filmpalast lädt zu sog. „Lehrermatineen“, also der Vorführung von Filmen, die für Schüler relevant und interessant sein könnten. Eine Begleitperson inklusive. Wer gerne von großer Leinwand unterhalten wird, ist hier genau richtig. Wer lieber schöne Momente und damit #MoreMoments als Dinge sammelt, auch. Doch selbst in diesem Bereich verführt der Eintritt for free dazu, unkritisch zu werden und Zeit in Erlebnisse sowie Unterhaltung zu investieren, die im Falle einer Gebührenpflicht… na, Ihr wisst schon. Von Achtsamkeit keine Spur mehr.

Darum prüfe, wer kostenlose bzw. günstige Angebot konsumieren möchte, kritisch, ob die Motivation wirklich intrinsisch motiviert ist. Vier Stunden Lebenszeit in einen mäßigen Film samt An- und Abreise zu investieren ist sonst im wahrsten Sinne des Wortes umsonst gewesen.

Nachlese: Zero Waste Home (Bea Johnson)

Jede Geschichte hat irgendwann ihren Anfang genommen. Auch die von Bloggerin Bea Johnson. Die gebürtige Französin führte ohne Zweifel das, was man den amerikanischen Traum nennen kann. Oder ein Leben im Überfluss. Je nach Betrachtungsweise: 280m²-Haus, zwei Autos, begehbare Kleiderschränke, Koi-Fischteich und eine 240-Liter-Tonne Müll wöchentlich obenauf. Finanzielle Probleme? Fehlanzeige! Wie Johnson schonungslos ehrlich zugibt, zog das Leben lange Zeit ohne Anstrengungen vorbei und spendierte ihr alle Annehmlichkeiten der modernen Welt. Nach Jahren der gesättigten Sesshaftigkeit in Kalifornien dann jedoch die erschreckende Erkenntnis: Ihr Mann und sie hatten zu viel Wert auf materielle Dinge gelegt. Ein Schock und zugleich eine Trendwende, die fast so radikal kam bzw. war wie die Einkauftrips davor. Bea und ihr Mann Scott zogen den Konsumstecker und entsagten nicht nur gedankenlosen Alltagsentscheidungen, sondern auch 80 Prozent ihres Besitzes. Der Wendepunkt ging mit einem aktiven „Nachhaltigkeitsmantra“ aus fünf Säulen einher. Refuse, reduce, reuse, recycle, rot, also ablehnen, reduzieren, wiederverwenden, recyceln, verrotten, was aus dem Haus der Johnsons ein Zero Waste Home machte. Über ihre Erfahrungen hat die Mutter zweier Söhne einen umfangreichen Erfahrungsbericht und Ratgeber mit über 350 Seiten geschrieben. Die deutsche Übersetzung inklusive zahlreicher nationaler Internetseiten zum Thema ist im Herbst 2016 im Verlag Ludwig erschienen.

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Glücklich leben ohne Müll! – so der passende Titel des internationalen Bestsellers – ist eine mögliche und machbare Lebensform. Dennoch erfordert sie etwas Übung und Praxis sowie eine realistische Anpassung an die individuellen Umstände, um zum persönlichen Wendepunkt und Meilenstein zu werden. Zwischen den ersten Einschränkungen und Experimenten bis hin zum spürbaren nachhaltigen Wandel lagen bei Johnson etliche Fehlversuche und skurrile Extreme, darunter der Ersatz von Toilettenpapier durch Moos. Obwohl sich diese Methode nicht als alltagstauglich erwiesen hat, verdeutlicht sie den Ansatz des Buches bereits in der Einleitung. Zero Waste Home gehört mit seinem Inhalt, mit zahlreichen Rezepten, raffinierten Anwendungsbeispielen und hilfreichen Kontaktadressen zu den literarischen Pionieren, die weit mehr als nur gängige umweltfreundliche Alternativen beleuchten. Dabei reicht schon die Lektüre der ersten 20 Seiten für einen realistischen Blick auf ein Thema, das zunächst große Unsicherheit oder Überforderung bei vielen Konsumjunkies auslösen mag.

Die richtige Balance finden
Tatsächlich ist ein absolutes Zero Waste im wortwörtlichen Sinne für die Autorin aufgrund der gegenwärtigen Produktionsbedingungen aber weder denk- noch machbar. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, diesem Ziel so nah wie möglich zu kommen, d.h. jede kleine Veränderung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Balance zu stärken und Kaufentscheidungen genau abzuwägen – etwa hinsichtlich Quantität vs. Qualität, neu vs. gebraucht, kaufen vs. selber machen (DIY) usw. – und Müll sowie Verschwendung durch entsprechenden Konsumverzicht weitgehend zu vermeiden. Erlebnisse statt Sachen lautet eine Devise, mehr Zeit besitzen statt Zeug eine andere, nach der Johnson ihren Alltag ausrichtet. Praktisch bedeutet das, den Verlockungen der Marketing- und Werbeindustrie nach einem unstillbaren Mehr an Konsumartikeln stetig und lebenslang diszipliniert zu widerstehen – egal, ob es um Küche und Lebensmittel-Einkauf, Badezimmer, Körperpflege und Wohlbefinden, Schlafzimmer und Kleidung, Haushalt und Instandhaltung, Arbeitsplatz und Werbepost, Kinder und Schule, Feiertage und Geschenke geht sowie das Verhalten Unterwegs.

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Müllfrei(er) zu leben ist gar nicht so schwer – zum Beispiel mit den schicken ECO Brotboxen

Müllvermeidung, durchdachter Konsum, Verarbeitung der Abfälle
Die fünf Schritte des Zero-Waste-Lebensstils werden im Johnsons Publikation in positiver Redundanz rauf- und runterexerziert und auf sämtliche Bereiche des menschlichen Daseins übertragen. Moderne technische Empfehlungen wie das (Weg-)Lasern von Körperbehaarung zur Vermeidung von Rasierschaum und Co. kommen dabei genauso zur Sprache wie die Verwendung von waschbaren Stoff- statt handelsüblichen Papiertaschentüchern und der Umstieg auf Secondhand-Ware. Lediglich der Zero Waste-Hund wirkt am Ende dann doch etwas übertrieben. Denn Hand aufs Herz: Wer sucht sich Wauzi und Bello danach aus, ob loses Fell bzw. Fellfarbe und Teppichfarbe miteinander harmonieren.

Einfach eine einfache Balance finden
Was den besonderen Mehrwert von Zero Waste Home ausmacht, ist am Ende aber genau dieses Augenzwinkern sowie die Tatsache, dass Johnson den Finger in offene Wunden legt und Themen anspricht, die als unbequem oder gar als gesellschaftliches Tabu gelten. Neben der Überlegung, woher der Müll kommt, müssen wir genauso ehrlich fragen dürfen, ob unsere Erde die menschlichen Fortpflanzungsgewohnheiten weiter aushalten kann. Ob ein Datenträger wie dieser – nämlich ein Buch über Müll- und Ressourcenminimierung – gerechtfertigt und das vielfach beschworene „Upcycling“ nur eine Methode ist, um unnötigen Plunder legitim von einer Ecke in die nächste zu schieben. Aber keine Angst: Minimalismus und kreative Armut gehören deshalb noch lange nicht zwingend zusammen, moralinsauer wird es in keinem Kapitel und an keiner Stelle, von Faktenhuberei nicht die geringste Spur. Die Antwort von Buch bzw. Lifestyle liegt vielmehr in einem bunten Strauß ressourcenschonender Möglichkeiten, bei denen wir uns nicht länger zu Sklaven unbelebter Dinge machen, mehr innere und äußere Freiheit(en) gewinnen und am Ende sogar gesundheitlich profitieren. Leichte Abzüge bei Glücklich leben ohne Müll! gibt es lediglich für die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche, die an manchen Stellen nicht ganz flüssig wirkt und ein, zwei sprachliche Stilblüten hervorbringt.

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Fazit: Kritisches Buch einer selbstkritischen Frau, die eine weltweit notwendige Diskussion um unseren fahrlässigen Lebensstil angestoßen hat. Für Minimalismus21 eine der wichtigsten Lektüren und Wegbereiter zu einer neuen (Zero Waste) Gesellschaft im 21. Jahrhundert.

Bea Johnson: Zero Waste Home. Glücklich leben ohne Müll! Reduziere deinen Müll und vereinfache dein Leben. Verlag Ludwig 2016 (19,90 Euro).
Zur Leseprobe.

 

Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim Verlag Ludwig.