Achtsamkeit ist eine wichtige Säule für Minimalismus: Innehalten, den Augenblick genießen sowie Geist und Körper wahrnehmen verschaffen heilsame Entschleunigung und ein intensiveres Gefühl für das Hier und Jetzt. Wer immer wieder gezielt in sich hineinhört und dem Moment mehr Raum gibt, erlebt sich Selbst und sein Dasein bewusster. Die aktive Kommunikation mit dem eigenen Ich schafft eine stärkere Verbindung zur Gegenwart – unsere Gedanken an die Vergangenheit oder die Sorgen vor der unbekannten Zukunft werden zu dem, was sie sind: Gedanken, die nicht zwingend der Realität entsprechen. Achtsamkeit hilft, unproduktive, unbewusste Gedanken- und Reaktionsmuster zu verändern, sagt die britische Psychotherapeutin Dr. Sarah Jane Arnold.
Wissen, was ist. Achtsamkeit und Empfindungen
Das lässt sich analog auf unser Konsumverhalten übertragen. Denn allzu oft entspricht unser Hunger nach Mehr lediglich der Jagd nach dem nächsten kurzlebigen Kick. Im ungünstigsten Fall soll er gar tieferliegende, unbefriedigte Bedürfnisse nach stabilen menschlichen Beziehungen oder das fehlende Quäntchen Selbstliebe kompensieren. Und erweist sich dabei als ausdauernder Treiber, der seine Finger gleichsam bei Konsumrausch und Völlerei im Spiel hat. Achtsamkeit im schnelllebigen Alltag aufrechtzuerhalten, ist also eine Herausforderung, aber nicht unmöglich. Nach Arnold ist diese Fähigkeit von Natur aus im Menschen angelegt und kann unter entsprechender Anleitung und Übung geschult werden. Das gilt gleichermaßen für unseren Umgang mit Neuanschaffungen und unserem Besitz an sich. Bestimmte Fragestellungen wie „Erfüllen mich die Dinge wirklich mit Freude?“ wurden und werden von Ausmistexperten und Minimalisten nahezu mantraartig runter- und vorgebetet, um ein verändertes Bewusstsein für die tatsächlichen Needs und Wants im Leben zu schaffen.
Skeptiker vermuten hinter der als (engl.) Mindfulness populär gewordenen Achtsamkeit jedoch weniger ein – neudeutsch – Tool zur Fokussierung als vielmehr ein „abgeschmacktes Konzept, gut durchkommerzialisiert mit Malbüchern zur Entspannung, Smartphone-Apps, die einen per Alarm ans Innehalten erinnern, oder Meditations-Retreats im Hinterland von Mallorca“ (Susann Remke: Der Heilige von New York. In: FOCUS 36/2017, 124). Dabei ist der medizinische Nutzen des positiven Seinszustands längst erwiesen: mit belegbaren Erfolgen bei Stress, Depressionen und Angststörungen. Das weiß auch Sarah Jane Arnold, die mit ihrem Achtsamkeitsbegleiter ein Hilfsmittel in Form eines Ausmalbuches vorgelegt hat, das zahlreiche Übungen für Entspannung und Gelassenheit enthält.
Titel der Originalausgabe: The Mindfulness Companion
Male Dich ins Jetzt lautet eine Maxime des Buches, eine Ausmal-Meditation für Erwachsene, die Raum für eigene Notizen und Betrachtungen lässt und die Konzentration des Moments sucht. Letzterer ist mir immer dann merklich entglitten, wenn ich beim Ausmalen der liebevoll gestalteten Mandalas zielsicher über die Zielgeraden (alias Formen und Symbole) mit meinen Bleistiften hinausgeschossen bin. Das selbstversunkene Malen meiner Kindheit, der Flow des Augenblicks, wurde allzu oft vom Autopiloten im meinem Kopf übertüncht, denn der Geist lässt sich schnell ablenken. […] Achtsamkeit ist eine Fähigkeit, die man sich aneignen muss. Und wie bei allen Fertigkeiten gilt auch hier: Nur Übung macht den Meister.
Wie dieses Üben erfolgen muss, bleibt Geschmackssache. Meditation, Yoga oder ein bewusster, positiver Tagesrückblick sind wertvolle Ergänzungen und Alternativen. Für Letztgenannte schafft Arnold eine äußerst ansprechende Grundlage.
Gedankensplitter und Sprüche geben praktische Impulse, das handliche Format im Bullet-Journal-Stil ermöglicht mindfulness to go – jetzt nur nicht gleich wieder stressen lassen. Die Kunst der Weisheit besteht darin zu wissen, was zu übersehen ist, mahnt William James auf schönem, dickem Papier. Und das ist bekanntlich geduldig.
Alle Zitate nach Dr. Sarah Jane Arnold: Der Achtsamkeitsbegleiter. Ein Ausmalbuch mit kleinen Übungen für Entspannung und Gelassenheit. Lotos Verlag, München 2017 (12,99 Euro)
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim Lotos Verlag.