Vom Behalter zum Wegschmeißer sei er geworden und habe dabei seine Begeisterung für Entrümpeln und Kompaktmöbel entdeckt. Diese Begeisterung merkt man Daniel Fuhrhop („Verbietet das Bauen“) deutlich an. Eineinhalb Stunden sprach der ehemalige Architekturverleger Ende April in München über die Frage, wieviel Platz wir eigentlich zum Wohnen brauchen. Aufhänger: Seine aktuelle Publikation aus dem oekom Verlag, in welcher der Autor 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte vorstellt. Denn diese Kombination gilt mittlerweile ernsthaft als gefährdet.
Allein in der bayerischen Landeshauptstadt sind nach einem Bericht der Abendzeitung bereits zwei Drittel zugebaut, die Hälfte der bebauten Siedlungs- und Verkehrsfläche ist vollständig durch Asphalt, Beton und Häuser abgedichtet. Fuhrhops Fazit: Die eigene Entscheidung für den Umgang mit Platz beeinflusst u.a. den generellen Umgang mit Wohnungen. Oder anders formuliert: Jede Schublade weniger macht unsere Städte grüner. Denn woraus besteht ein neues Baugebiet? Aus Häusern mit vielen Räumen, in denen viele Schränke mit noch mehr Schubladen stehen. Darum hilft Platzsparen, Freiflächen zu bewahren.
Dass Referent bzw. Verlag für diesen Vortragsabend das Lovelace in der Münchner Innenstadt gewählt haben, mag Zufall oder kluges Marketing sein: „Ein großer ungenutzter Raum. Mitten in München. Verwandelt in ein Hotel mit 30 Zimmern und einer Vielzahl öffentlicher Räume“, heißt es in der Selbstbeschreibung auf der Webseite. Eine Zwischennutzung bis 2019, in der die Betreiber „keine Gäste, sondern Kollaborateure“ empfangen, „kein Hotel, sondern ein Happening“ anbieten möchten. Im ehemaligen Gebäude der Bayerischen Staatsbank forderte Fuhrhop die Teilnehmer ebenfalls zur Kollaboration auf: In sich gehen, sich selbst und seine Verhaltensmuster in Frage stellen, innere Klarheit gewinnen und eine bewusste Entscheidung für die Dinge treffen, die glücklich machen. Marie Kondo und viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter des Minimalismus leben den Zeitgeist vor, wenngleich sie meist nicht auf das eingehen, was nach dem Ausmisten und Reduzieren kommt; anders dagegen unlängst The Minimalists in der deutschen Erstausgabe von MINIMALISM. Live a meaningful life.
Umbauen, Ausbauen, Reduzieren
Nicht umsonst widmet sich also auch Einfach anders wohnen in Kapitel 1 zunächst dem Trendthema Entrümpeln – und das auf angenehm spielerische und entspannte Weise, was die Person Daniel Fuhrhop sowohl mit der Überzeugungskraft als auch mit der Gelassenheit eines Niko Paechs ausstattet, seines Zeichens (wohl) Deutschlands bekanntester Vertreter der Postwachstumsökonomie. Wer Platz schaffen will auf Mikro- bzw. Makroebene, muss sich in vielen Fällen erst einmal den eigenen Ängsten stellen. Denn nicht das Gewinnstreben, sondern die Angst vor Verlust wirke bei vielen Menschen wie ein Hemmschuh, sagt der renommierte Psychologe Daniel Kahnemann.
Übertragen auf Entrümpeln heißt das, wir haben Angst, mit den Sachen etwas Wertvolles zu verlieren. Erst wenn wir diese Befürchtung ablegen (ein Foto des aussortierten Gegenstandes kann Loslassen und Erinnern erleichtern!), können wir befreiter über alternative Lebensmodelle nachdenken; nicht nur beim Wohnen. Doch Vorsicht, der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Denn etliche Ratgeber zum Thema postulieren besonders im Bereich der Wohnkonzepte anti-minimalistische Ideen, etwa den Platz hinter Türen mit entsprechenden Haken oder Regalen zu nutzen: Viele Bücher mit Wohnideen sind Rümpelbücher. Rümpeln Sie nicht, sonst hört das Entrümpeln nie auf, warnt Fuhrhop, und bitten Sie Architekten, Innenarchitekten und Raumgestalter um Unterstützung, wenn es darum geht, viel Platz gut zu nutzen.
Das lässt sich beispielsweise durch multifunktionale Einbauten, Kompakt-, Multifunktions- sowie Flug- und Treppenmöbel erreichen, denen Einfach anders wohnen eigene Abschnitte und faszinierende Bilder widmet. Vertreter von Downsizing und alternativen Wohnformen kommen beim häuslichen Zusammenrücken zudem mit den sogenannten „Tiny Houses“ in Berührung, kleine Häuser mit rund zehn bis zwanzig Quadratmetern. Großes Manko der Kleinen: Die Vielzahl an Menschen sowie eine wenig optimale Nutzung von Fläche, was das Leben auf überschaubarem Raum als massentaugliche Alternative großflächig einschränkt. Für den Vortragsredner allerdings kein Grund, sich dem Testen und Probewohnen im Minihaus zu entziehen. Denn wer mehr positive Seiten mit weniger Raum erfahren hat, nimmt die Inspiration bzw. das gute Gefühl eventuell zum Anlass, seine bisherige Wohn- und Lebenssituation umzustellen, so zumindest die These: Wenn zehn Quadratmeter zum guten Wohnen reichen, könnte das helfen, auch größere Wohnungen und Häuser so umzubauen, dass dort mehr Menschen leben. Praxistipp am Rande: Einen Raum in den eigenen vier Wänden für einen bestimmten Zeitraum testweise verschließen. Alternativ Arbeitsraum untervermieten, Mitbewohner oder Unbekannte Gäste aufnehmen oder gar Wohnen für Hilfe anbieten.
Geht es nach Fuhrhop, wird sich das gemeinschaftliche Wohnen in 20 bis 30 Jahren ohnehin flächendeckend ausgebreitet haben. Onlineportale wie Gold-WG oder bring-together vermitteln bereits heute potentielle (Mit-)Bewohner jeglicher Altersklassen über das Internet. Und in vielen Städten entstehen alternative Wohn- und Hausgemeinschaften, die Senioren-WGs genauso umfassen wie Coliving und Coworking-Angebote. Mit wem kann ich also Raum teilen? Mit wem will ich in einer Kommune oder einem Mehrgenerationenhaus wohnen? Und was ist überhaupt das „richtige“ Teilen, wo liegen seine Grenzen? Fragen, auf die Daniel Fuhrhop in München Antworten und Anregungen gleichermaßen gegeben hat. Und die sich im aktuellen Ratgeber in fünf großen Kapiteln plus Serviceteil noch einmal nachlesen lassen: Kompaktes Lösungsangebot auf 100 Prozent Recyclingpapier für alle Reduzierer, die nach dem „Wie weiter“ fragen.
Alle Zitate – soweit nicht anders angegeben – nach Daniel Fuhrhop: Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte. oekom Verlag, München 2018 (14,00 Euro)
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim oekom Verlag. Den Vortragsabend in München haben wir auf eigene Kosten besucht.