Vor ein paar Tagen hat jemand das Wort „leer“ im Zusammenhang mit unserer neuen Wohnung benutzt. Oder war es „leerer“? Egal. Jedenfalls sind diese Momente so etwas wie die Freuden des kleinen Minimalisten, hier der Minimalistin; Twitter-Follower wissen mehr.
Minimalismus, was nun?
Und diese Person hat recht. Wir haben schon vor dem Umzug, während des Umzugs und selbstverständlich nach dem Umzug – also in nahezu sämtlichen (grammatischen) Fällen – ausgemistet, sortiert, verkauft, gespendet etc. Und so langsam macht sich der Aktionismus auch bemerkbar. Die Räume öffnen sich, werden luftiger, lassen sich schneller aufräumen und einfacher sauber halten. Von gähnender Leere möchte ich hier dennoch nicht sprechen. Würde man die schärfsten Kritiker unter den Minimalisten befragen, die 100-Gegenstände-und-weniger-Besitzer, kämen wir wohl auf den Platz „Messies unter den Minimalisten“. So viel Selbstironie und Hand-aufs-Herz muss sein. Tatsächlich gibt es eine weitere Sache bei der ganzen Declutter-Nummer, mit der man im Laufe der Zeit konfrontiert wird: Man muss die neue Leere (aus)halten können, als da u.a. wären:
1. Von analogem auf digitalen Krempel umzustellen ist nichts anderes als von analogem auf digitalen Krempel umzustellen. Kurz: eine Verlagerung. Zwar mag der nicht-haptische Besitz physikalisch weniger Platz ein- und wegnehmen. Zum Ballast kann der Hort an Bildern, Filmen, Musik und Co. dennoch werden.
2. Wie heißt es bei the minimalists so schön: „But consumption isn’t the problem—compulsory consumption is.“ Wenn wir uns wie ein Archäologe durch alle Schichten von ungeliebtem Besitz, überholten Verhaltensmustern und abgelegten Hobbys geschält haben, bleibt bestenfalls etwas Positives übrig. Nämlich was Freude und Wert in unser Dasein bringt, was uns bereichert und nicht beschwert. Schlimmstenfalls stellen wir jedoch (gleichzeitig) fest, dass wir uns von Illusionen verabschieden müssen – etwa doch noch mit dem Klavierspielen anzufangen. Das liest sich dann beispielsweise so oder so. Es ist nicht immer einfach, diese mitunter durchaus schmerzhafte Erkenntnis auszuhalten. Denn meistens erkennen wir in solchen Momenten die Endlichkeit der eigenen Existenz und begreifen, dass ein Leben allein oft nicht für die Umsetzung aller Wünsche und Träume ausreicht. Beschränkung = Bewusstmachung? Ja! An dieser Nummer haben viele Menschen erst einmal zu knappern. Wer das ohne unmäßige und selbstzerstörerische Kompensation jeglicher Art schafft, ist seiner persönlichen Freiheit einen riesigen Schritt nähergekommen. Meinen herzlichen Glückwunsch.
3. Schließlich und schlussendlich: Minimalistisch zu leben bzw. sich nur mit dem zu umgeben, was einen bereichert, ist – wie die Formulierung schon anklingen lässt – ein lebenslanger Prozess. Und der erfordert eine verdammte Konsequenz. Jeden Tag. Regelmäßige Ablage, Verweigern von Dingen inklusive Wiederverwenden und Recyclen, Augenkonsum statt voller Tüten usw. Oder um Zero-Waste-Bloggerin Bea Johnson zu zitieren:
- Refuse what you do not need.
- Reduce what you do need.
- Reuse by using reusables.
- Recycle what you cannot refuse, reduce, or reuse.
- Rot (compost) the rest.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder doch?