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Nachlese: Einfach leben (Lina Jachmann)

Minimalismus hat viele Gesichter. Rund 30 von ihnen porträtiert Lina Jachmann in ihrem Guide für einen minimalistischen Lebensstil, der im März 2017 im Knesebeck Verlag erschienen ist und sich in vier große Kapitel gliedert: Minimalismus & Wohnen, Minimalismus & Mode, Minimalismus & Körper sowie Minimalismus & Lifestyle.

Lina Jachmann. Einfach leben

Schon das Vorwort beginnt mit einer heiklen und mutigen Frage: „Was ist Minimalismus genau?“ Heikel, weil es wohl – wie für so viele Bereiche im Leben – auch zu diesem Thema keine allgemeingültige Antwort gibt, mit der sich jedermann zufriedengeben wird bzw. zufriedenstellen lässt. Mutig, weil allein der Glaube, die ultimative und allgemeingültige Formel, Wahrheit, Weisheit, Definition etc. für das einfache Leben gefunden zu haben, schlichtweg vermessen ist. Und wiederholt zu mehr oder weniger erbitterten Grabenkämpfen unter Minimalistinnen und Minimalisten geführt hat und führt.

Genau an dieser Stelle hebt sich Jachmanns Lektüre bereits in einem ersten Schritt positiv ab. Die Autorin wird nicht müde zu betonen, dass es sich bei ihrem Buch eben nicht um eine dogmatische Schritt-für-Schritt-Anleitung handelt, sondern um den Versuch, inspirierende Frauen und Männer mit ihren individuellen Geschichten vorzustellen. Sozusagen eine Reise, bei der man unverhohlen durch die unterschiedlichsten Schlüssellöcher spitzen und sich jede Menge Anregungen holen kann; auch für geistiges Entrümpeln. Ein kluger Ansatz, der den Blick weg von der eigenen Person lenkt und Raum für menschliche Vielfalt, Inspiration, neue Denkansätze und Austausch eröffnet. Im besten Fall sogar für ein voneinander Lernen und gemeinsames Pläneschmieden. Sofern man diesem Blickwinkel eine Chance gibt.

Klug ist in meinen Augen überdies die ansprechende Aufmachung von Homestorys und Interviews. Warum? Nun, weil die visuelle Gestaltung bei Marketing und Absatz eben eine existentielle Rolle spielt. Für die erfahrene Kreativdirektorin und Autorin täglich Brot und beruflicher Alltag, was Kritiker innerhalb der „Minimalismus-Szene“ allerdings schnell auf den Plan ruft.
Wer Resonanz und Reaktionen in den letzten Wochen aufmerksam verfolgt hat, dem wird die aufgeklappte Schere nicht entgangen sein. Entzückte Jubelrufe und begeisterte Instagramposts haben genauso ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden wie die „Schon-wieder-so-ein-Buch-Diskussion“ oder die Frage, ob man ausgerechnet mit dem Thema „Minimalismus“ Geld verdienen darf. Von entrüsteten Krempelliebhabern ganz zu schweigen. Sogar zahlreiche Publikumsmedien, aber auch die sogenannte „Lifestyle-“ und „Wirtschaftspresse“ haben Jachmanns Tipps für weniger Ballast (im Kleiderschrank) klickträchtig zwischen Affiliatelinks und den neuesten Fashiontrends platziert. Und manch einer unter ihnen nimmt das Thema sogar zum Anlass, um bereits die Endlichkeit des einfacheren Lebens heraufzubeschwören, wie Soziologie-Professor Kai-Uwe Hellmann in einem Interview mit der Berliner Boulevardzeitung B.Z.: „Minimalismus ist im Moment eine Trenderscheinung. Allerdings sind die meisten Leute in der Umsetzung inkonsequent. Häufig wollen sie sich einfach nur von der Mehrheit absetzen.“

DIY-Idee: Allzweckreiniger © Marlen Mueller/Knesebeck Verlag

Jede Menge Sprengstoff für unendliche Balgereien um das richtige Maß an Weniger, Grüner, Nachhaltiger, Reduzierter. Dass wir die Freiheit haben, diese Diskussionen zu führen, ist unterschätztes Gut und Dynamit in Personalunion.

Denn ab einer bestimmten Stufe stellt sich ohnehin die zündende Frage: Ist die Menschheit qua ihrer biologischen Beschaffenheit als ausscheidendes und zwangsweise konsumierendes Organ von sogenannten „Needs“ in Summe nicht längst untragbar bzw. obsolet geworden?

Einfach leben. Und leben lassen
Wo „darf“ und will sich vor diesem Hintergrund also die Bloggerin in mir einordnen, die – Achtung, Transparenz – kein Geld für ihre wie auch immer geartete Meinung, wohl aber ein kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag bekommen hat. Nun, in erster Linie hat es Lina Jachmann in meinen Augen geschafft, das „Einfache Leben“ in vielen Punkten positiv(er) zu besetzen. Optisch und inhaltlich. Wer sich noch nie mit Minimalismus auseinandergesetzt hat, lernt viele – natürlich überwiegend reichweitenstarke – Influencer kennen, deren Lebensalltag sich nicht wie ein unbequemer Verzicht oder schwer zu ertragender Mangel anfühlt. Im Gegenteil.

Lina Jachmann © Marlen Mueller/Knesebeck Verlag

Mit Weniger zum Mehr meint hier, bewusstere Entscheidungen gegen etwas zu treffen, um anderes zu gewinnen. Zum Beispiel weniger Geld für Billigprodukte = mehr Langlebigkeit und weniger Müll. Weniger Besitz = mehr äußere und innere Ordnung. Weniger Fast Food = mehr Slow Food. Weniger Sachgeschenke = #MoreMoments und wirklich Wertvolles.

Wie und warum sich Menschen dem Minimalismus zuwenden, hat folglich ganz unterschiedliche Gründe. Nicht jeder von ihnen kommt per se aus einem Leben im Überfluss und Konsumrausch, war früher automatisch Modeblogger, Shoppingjunkie und Workaholic. Auch wirtschaftliche Gründe wie Schulden, Jobverlust, eine kleine Rente o.ä. können ein – wenngleich in diesen Fällen eher nachrangiger – Motor sein. Wie Zwang und Not zu Lifestyle und Tugend werden können, ist damit freilich noch nicht beantwortet.

Die verschiedenen Vertreter und ihre Geschichten sind in ihren Gemeinsamkeiten und in ihrer Gegensätzlichkeit ein Abbild der Strömungen, die sich sukzessive im Minimalismus herausgebildet haben. Sogar von „Neo-Minimalismus“ ist schon die Rede. Nicht jeder, der ausmistet und reduziert, beansprucht automatisch einen – man möge mir den überstrapazierten Begriff verzeihen – „nachhaltigen“ Lebensstil. Nicht jeder, der vegan isst, pflegt eine Capsule Wardrobe, kauft unverpackt ein, lebt im Tiny House, besitzt nur 100 Dinge und arbeitet Teilzeit.

Milena Glimbovski alias Milenskaya © Marlen Mueller/Knesebeck Verlag

Manch einer hat aus dem steigenden Bedürfnis nach Weniger sogar ein Geschäft gemacht wie Milena Glimbovski, die 2014 eine Crowdfunding-Kampage für Original unverpackt startete. Der Berliner Supermarkt ohne Umverpackungen ist ein schönes Beispiel dafür, warum die Diskussion und Aufklärung über Konsum wichtig ist und warum es sehr wohl einen, nein, mehrere Unterschiede macht, was wir uns in den Einkaufskorb packen. Oder eben nicht packen.
Zero Waste, Fair Fashion und die Sharing Economy geben sich bei Lina Jachmann bzw. bei ihren Gesprächspartnern die Klinke in die Hand. Ob sie und ihr Lebensstil die „Welt retten“, ist am Ende nicht die Frage. Das kann man kritisieren. Oder akzeptieren. Denn unterschiedliche Zielgruppen wollen unterschiedlich angesprochen werden.

Joachim Klöckner © Marlen Mueller/Knesebeck Verlag

Wer nur den Zeigefinger erhebt und Verbote ausspricht, läuft Gefahr, gute Ansätze und den ehrlichen Goodwill zur Veränderung mit Füßen zu treten.

Oder um es mit Interviewpartner Joachim Klöckner zu sagen: „Aber wenn der Zeigefinger kommt, dann kommt irgendwann als Echo der Mittelfinger.“ Eine gesunde Haltung von einem maximalen Minimalisten, der nur mehr 50 Teile sein Eigen nennt. Socken einzeln mitgezählt.

Einfach leben bewegt sich für meinen Geschmack elegant zwischen lesenswerter Akkumulation zum Thema und einer Startlektüre für Newbies und Einsteiger, die den Minimalismus im Internet dezidiert im Medium Print versammelt hat. Der bunten Mischung aus Homestories, Interviews, Tipps und DIYs gelingt das auf eine unaufgeregte und ansprechende Weise. Wem das nicht reicht oder wer kein Geld dafür ausgeben möchte: Im Anhang finden sich weiterführende Adressen sowie der eine oder andere Blogger, der Euch bereits bekannt sein dürfte.

Alle Zitate nach Lina Jachmann: Einfach leben. Der Guide für einen minimalistischen Lebensstil. Knesebeck Verlag, München 2017 (24,95 Euro)

Alle Abbildungen – soweit nicht anders angegeben – mit freundlicher Genehmigung des Knesebeck Verlages: © Marlen Mueller/ Knesebeck Verlag.

TV-Tipp zum Thema:
Joachim Klöckner: Minimalismus gegen Altersarmut.

Digitalen Lärm reduzieren. Zurück zur Buddha-Natur

Einfach mal abschalten. Offline sein. Digital und geistig. Für Minimalismus-Blogger Pflicht und Kür, Herausforderung und Ironie zugleich. Einer, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, ist Frank – ein Kontakt, der sich über unser Social-Media-Dasein ergeben hat. Logisch. Frank ist ein kritischer Geist, der uns immer wieder wertvolle Anregungen und Gedanken zum Blog mitgibt. Aktuell stellt er sich die Frage: „Was ist das am wenigsten Mögliche im Digitalen?“ Wie wir digitalen Lärm reduzieren können. Mit Weniger zum Mehr.

Gastbeitrag von einem Wegbegleiter
Unser ganzer Tag ist unterlegt vom Grundrauschen der Information und des Begehrens und verschüttet so den wichtigsten Teil in uns. Das sollten wir nicht zulassen. Wir werden überschüttet, zugehäuft und vollgedröhnt. Ungefragt. Newsletter, Prospekte, Fernsehsendungen und Social-Media-Kanäle unterlegen unseren Tag mit einem immerwährenden Grundrauschen von Informationen. Jeden Tag entdecken wir ein neues Begehren. Jeden Tag finden wir etwas, das wir gestern noch nicht kannten und heute haben wollen.

Viele Menschen nehmen dieses Grundrauschen nicht nur dankbar an, sondern verstärken es noch bewusst oder unbewusst. Sie befreunden sich mit noch mehr Menschen auf Facebook, folgen noch mehr News auf Twitter oder Unternehmen auf Linkedin. So wird das Grundrauschen unendlich. Es ist egal, wie oft wir auf unser Smartphone schauen, es gibt immer Neuigkeiten, es hört nie mehr auf. Und was wir dann lesen, gesellt sich zum Affengeplapper in unserem Kopf: Da gibt es wieder was zum Beneiden, zum Hassen, zum Aufregen, zum Habenwollen. Immer neue Impulse, damit der Gedanken- und Emotionsstrom bloß nicht abreißt.
Die Menschen brauchen das. Denn Ruhe ist gefährlich. Die Ruhe ist das Nichts. Ist es nicht besser, sich aufzuregen oder etwas zu begehren, als gar nichts zu fühlen? Wenn ich mich aufrege, muss ich mich in dem Moment wenigstens nicht mit mir selbst befassen, dann kann ich meine Gedanken wieder ganz „in Ruhe“ nach außen richten und ihnen ihren Lauf lassen. Das Informations- und Konsum-Grundrauschen ist da ungeheuer praktisch. Da kann es gar nicht mehr passieren, dass die emotionale Erregung stoppt und ich mich nach innen richten müsste. „Gefahr“ gebannt.

Die Kette des abhängigen Entstehens
Im Buddhismus spricht man von der „Kette des abhängigen Entstehens“. Eine Kausalkette, die den Kreislauf aus Leben und Sterben in Gang hält. Diese Kette basiert darauf, dass wir der Illusion erliegen, wir wären ein von anderen getrenntes Lebewesen, ein „Ich“ oder ein „Wir“, das einem „Du“ oder einem „Ihr“ gegenübersteht. Erst durch diese Illusion wird eine Identifikation als Person möglich, die über die Sinnesorgane die Außenwelt wahrnimmt. Jede auf diese Weise aufgenommene Empfindung kategorisieren wir sogleich als gut, schlecht oder neutral für „uns“. Dies verstärkt wiederum das Bewusstsein von „Mein“ und „Dein“. Die Abgrenzung zu anderen wird weiter vertieft, die Illusion zementiert und wir handeln im Zweifelsfall zu unserem vermeintlichen Vorteil und dem Nachteil der anderen. Wir erkennen nicht, dass wir uns in Wahrheit selber schaden.

Einfach mal abschalten und in der Stille verharren: Für viele von uns gar nicht so leicht

So lange wir uns zudröhnen, ist es uns völlig unmöglich, diese Illusion zu erkennen und die Kette zu durchbrechen. Der ewige Strom aus Informationen und Begehren gräbt die Furche der Illusion immer tiefer in unser Bewusstsein. Täglich, stündlich, immerwährend. Jede Sekunde beurteilen wir auf diese Weise eine täglich steigende Anzahl an Eindrücken als gut, schlecht oder neutral. Im schlimmsten Fall lösen sie unbändiges Begehren oder grenzenlosen Hass aus – zwei Emotionen, die ein ungeübter Geist nur noch schwer kontrollieren kann. Die Hasskommentare im Internet belegen dies eindrucksvoll. Hier sind Menschen sehr, sehr tief im „Mein“ und „Dein“ oder im „Wir“ und „Ihr“ gefangen und befeuern sich darin tagelang gegenseitig ohne die geringste Chance, dem zu entrinnen. Sie werden vollständig von ihren Emotionen kontrolliert, wie auf einem Wagen mit vier wild gewordenen Gäulen sitzend, die Zügel nicht mehr in der Hand.

Minimalismus kann ein Anfang sein
Doch offensichtlich gibt es Menschen, die erkannt haben, dass ihnen diese Flut nicht bekommt. Dass jede neue Information und jedes neue Ding neue Urteile und Emotionen auslöst. Diese Menschen haben gemerkt, dass das, was sie wirklich sind, immer weiter unter dem Grundrauschen verschüttet wird. Diese Menschen möchten sich nicht mehr von äußeren Eindrücken lenken und sagen lassen, wer sie zu sein haben. Sie möchten nicht mehr gezwungen werden, Partei zu ergreifen, etwas zu begehren oder abzulehnen. Sie möchten wieder die Kontrolle über ihren Geist, die Zügel wieder in der Hand halten.
Minimalismus ist ein valider Schritt raus aus der Kette des abhängigen Entstehens. Es ist ein wichtiger Schritt zur Reduzierung all der Eindrücke, die das Affengeplapper in unserem Kopf immer neu anreichern. Ein Schritt, der dazu führen kann, den Blick wieder für unser Inneres zu öffnen. Denn das wahre Glück liegt nie in äußeren Umständen, die wiederum immer von irgendetwas anderem abhängig sind – egal, ob es sich um Dinge, Menschen oder Emotionen handelt, an denen wir uns festhalten wollen. Die Wahrheit und das Glück liegen allein in uns selbst. Ganz im Innern wissen wir um die Illusion und um das, was wir wirklich sind. Und ganz tief verborgen wissen wir, dass nur wir selbst die Illusion enttarnen und wir uns so befreien können.

Diesen wissenden Kern nennt man die Buddha-Natur, die jedem Lebewesen inhärent ist. Minimalismus ist ein kleines, aber hoffnungsvolles Aufblitzen dieser Buddha-Natur.

Danke an Frank für den schönen Gastbeitrag.

Lektüretipps zum Thema:
Inga Heckmann: Von der Kunst, Yoga & Achtsamkeit im Alltag zu leben. Irisiana, München 2015 (16,99 Euro)
Winfried Hille: Slow. Die Entscheidung für ein entschleunigtes Leben. Gütersloher Verlagshaus 2016 (17,99 Euro)

Müllfreie Tage: Menstruationskappe von Lunette

10.000 bis 12.000 Tampons und Binden verbraucht eine Frau durchschnittlich im Laufe ihres Lebens. Andere Hochrechnungen kommen sogar auf einen stattlichen Wert von 17.000: Von Minimalismus und Monatshygiene kann an dieser Stelle folglich keine Rede sein, oder doch?

Alle Tage wieder
Die weibliche Menstruation läuft naturgemäß zwölf Mal pro Jahr ab. Für Umwelt und Geldbeutel eine deutliche Belastung. So schreibt etwa das Onlineportal Frauenzimmer.de unter Verweis auf die amerikanische Huffington Post, dass wir bis zur Menopause etwa 16.000 Euro rund um die Regelblutung ausgeben. Alle Tage wieder also jede Menge Money und Müll? Nicht nur, wie die Nachhaltigkeits-Experten von Utopia betonen. Auch schadstoffbelastete Produkte kommen beim Thema zum Tragen, mitunter mit deutlichen Auswirkungen auf ihre Anwenderinnen.

Die Geschichte der Menstruation ist ein zyklisches Wechselspiel
Den Dingen alternativ einfach ihren Lauf zu lassen, ist dabei allerdings nicht nach jedermanns Geschmack. Oder schlichtweg unmöglich. Aus Gründen. Aus historischer Sicht ist die Periode oder Menarche stets unterschiedlichen kulturellen Einflüssen und Zyklen unterworfen gewesen. Aberglauben, strenge Rituale und Gebote kamen und gingen mit dem Einsatz diverser hygienischer Hilfsmittel ebenso einher wie mit ihrem Verzicht. Und auch die Frauen selbst waren erfinderisch im Umgang mit ihrer Blutung wie das Beispiel der Amerikanerin Leona W. Chalmers zeigt. Mitte der 1930er Jahre meldete die Schauspielerin und Sängerin ein Patent an, das 1937 genehmigt wurde: die Menstruationstasse. Leider floppte die Erfindung aus vulkanisiertem Gummi aus verschiedenen Gründen; weitere Anläufe – u.a. unter dem Namen Tassette – scheiterten ebenfalls.

Screenshot des Museum of Menstruation & Women’s Health www.mum.org

Spätestens mit dem Einzug neuer Materialien erfuhr Chalmers Idee jedoch ein Revival. Das Interesse an den Menstruationsbechern, Menstruationskappen, Menstrual cups, Moon cups oder einfach Menstassen ist öffentlich sichtbar geworden, u.a. auf dem Heldenmarkt 2017 in München. Das finnische Unternehmen Lunette hat seine Menstruationskappe aus medizinischem Silikon auf der nachhaltigen Verbrauchermesse vorgestellt. Wir wollten mehr über das Produkt wissen und haben Mari Lappi-Kaipio, Ansprechpartnerin für den deutschsprachigen Raum, im Nachgang der Messe um ein Interview gebeten.

Lunette auf dem Heldenmarkt 2017 in München

Wie, wann und wodurch entstand die Idee zur Entwicklung der Lunette?
Im Jahr 2004 war die Firmengründerin von Lunette, Heli Kurjanen, „Stoffwindel-Mutter“ von zwei kleinen Kindern. Sie interessierte sich für nachhaltiges Leben und hatte im Internet die Menstruationstasse entdeckt und eine bestellt. Sie fand die Idee von müllfreier Monatshygiene faszinierend, aber das bestellte Produkt war für ihre Anatomie kein Volltreffer. Die frühen Menstruationskappen wurden nach dem Patent von Frau Chalmers aus den 1930er Jahren hergestellt. Es gab zwar schon neue Materialien wie medizinisches Silikon, aber das Design sollte auch aktualisiert werden. So entschied sie sich mit Unterstützung von ihrem Mann, der Unternehmer ist, eine eigene Menstruationskappe zu entwickeln. Die Leitidee war: ein angenehmes Tragegefühl. Ihr Gedanke: Die Frau sollte doch zuerst sich selbst retten, erst dann den Planeten.

Heli Kurjanen, CEO und Founder von Lunette. © Lunette

Als Heli die Lunette entworfen hatte, bat sie einige Freundinnen, das Produkt zu testen. In diesem Freundeskreis tauschten sie sich viel aus – und aus diesen Diskussionen stammt übrigens auch der Name Lunette.

Lune/ Luna steht für Mond. Die Endung -tte bedeutet in der französischen Sprache so viel wie die Endung -chen oder -lein in der deutschen Sprache. So erstand Lunette, Mondlein. Der Startschuss für das heutige Unternehmen fiel im Jahr 2005.

Wie lange hat die Entwicklung gedauert? Wofür ist der Stiel unten?
Einige Monate. Die erste Produktion fand im Oktober 2005 statt. Der Stiel ist eine Orientierungs-/ Justierungshilfe, aber sollte nicht zum Herausziehen verwendet werden. Wenn man einfach am Stiel zieht, wird der Unterdruck stärker und es ist schwieriger, die Menstruationskappe zu entfernen. Stattdessen sollte man mit dem Beckenboden pressen, damit die Menstruationstasse weiter nach unten kommt und man sie greifen kann. Dann den Boden zusammen drücken, um den Unterdruck zu lösen und die Menstruationskappe vorsichtig herausnehmen.

Auch die Produktion der Lunette benötigt Ressourcen: Wie lange muss ich das Produkt anwenden, bis ich Tampons/ Binden in Sachen Müll „überholt“ habe?
Wir haben keinen „Fussabdruck“ für Lunette-Produkte kalkuliert, weil so eine Kalkulation recht kompliziert ist und irreführend sein kann. Bei der Produktion achten wir darauf, dass die Bestandteile nah und möglichst energieeffizient produziert werden. Eine Betrachtungsweise ist es, die „Umweltlast“ eines Produktes oder einer Dienstleistung mit dem Preis gleichzustellen, nach dem Motto „Verwendetes Geld = Umweltbelastung“. Die Lunette Menstruationskappe kostet rund 30 €. Das entspricht den Kosten von einem Tampon-/Bindenvorrat für ca. sechs Monate.

Wir verlosen zwei Mal die Lunette Eurer Wahl. Sie ist in gut sortierten Bioläden, Apotheken und Onlineshops erhältlich. © Lunette

Muss die Lunette nach jedem Entleeren desinfiziert werden? Kann ich mit der Lunette Sport machen, z.B. turnen? Fließt das Blut bei einem Handstand zurück?
Während der Tage ist es ausreichend, die Lunette zuerst mit kaltem Wasser (um Verfärbungen zu vermeiden) und dann mit warmem Wasser abzuspülen. Viele Frauen verwenden auch gerne unsere Flüssigseife Feelbetter. Wir empfehlen keine handelsüblichen Seifen, denn diese können das Material beschädigen und die Scheide reizen. Nach der Periode muss man die Lunette ordentlich reinigen, z.B. in reichlich Wasser abkochen oder mit unseren Reinigungsprodukten säubern, die speziell für dieses Material entwickelt wurden.
Die Menstruationskappe ist besonders gut zum Sport geeignet. Bei Sportarten, wo man kräftig mit dem Beckenboden arbeitet wie turnen, lohnt es sich, den Unterdruck extra zu verstärken, damit die Kappe fester sitzt und dadurch besser dicht hält. Unser Tipp: die Lunette etwas tiefer als normal einführen und sicherstellen, dass sie aufgeploppt ist. Dann ohne den Unterdruck zu lösen vorsichtig etwas zurückziehen. Du kannst gleichzeitig die Muskulatur nach oben anspannen. Anschließend die Genitalien noch vom Restblut reinigen. Die Menstruationsblutung fließt durch eine stecknadelkopfgroße Öffnung am Muttermund. Zudem arbeitet die Gebärmuttermuskulatur, um das Blut auszuscheiden. Wenn Blut bei einem Handstand zurückfließen würde, wäre die Menge gering. Viele Yogis empfehlen allerdings keine Umkehrhaltungen während der Menstruation.

Die Anatomie der Lunette Menstruationskappe. © Lunette

Was unterscheidet die Lunette vom Angebot der Mitbewerber?
Das Design ist anders (siehe Anatomie-Bild). Die Lunette wird aus bestmöglichem medizinischen Silikon hergestellt (aus Deutschland, denn es gibt ganz wenige Hersteller in dieser Qualität) und die Produktion findet in Finnland statt. Die meisten Menstruationstassen werden in China produziert, auch wenn die Vertriebsfirma aus Europa ist.
Es gibt auch Menstruationtassen aus Plastik (TPE) und Latex (Naturkautschuk). Im Vergleich zu diesen Materialien sind allerdings die Materialeigenschaften des medizinischen Silikons (ploppfreudig, formstabil, unbedenklich, nicht allergieerregend) überlegen. Lunette wird mittlerweile in über 40 Ländern verkauft und unser soziales Engagement macht uns anders: Ganzheitliche Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung und Wohltätigkeit sind wichtige Bestandteile der Unternehmensphilosophie.

Alle Lunette Menstruationskappen werden per Hand durch eine Behindertenwerkstatt, Titry ry in Tampere, Finnland verpackt. Titry kümmert sich auch um den Versand. Es handelt sich meistens um körperlich behinderte Menschen, die nur leichte Arbeit übernehmen können. Lunette ist mittlerweile der größte Arbeitsgeber und die Beziehung ist eng: Eine Mitarbeiterin von Lunette steuert die Produktion und besucht die Werkstatt wöchentlich.

Zu guter Letzt: Die Lunette ist als Produkt auf Nachhaltigkeit und lange Lebensdauer ausgelegt. Gut für den Verbraucher, schlecht für den dauerhaften Umsatz einer Firma. Wie stellen Sie langfristig die Wirtschaftlichkeit sicher?
Wahr: Manche Frauen verwenden die Kappe viele Jahre, aber wir haben festgestellt, dass viele Frauen die Kappe nach 2 bis 3 Jahren der Verwendung aus ästhetischen Gründen wechseln. Mit der Zeit verfärbt sich die Kappe – je nach Pflege weniger oder mehr. Unser Traum: Wir wollen die perfekte Periodenbegleiterin an alle Frauen der Welt vorstellen. Nicht jede Frau wird sie benutzen, aber jede Frau sollte zumindest davon gehört haben. Wir wollen das Beste für die Frau und für die Umwelt anbieten. Mit dieser Aufgabe ist man nie fertig!

Minimalismus21 sagt „Herzlichen Dank“ für das Interview und möchte seinen Leserinnen die Chance bieten, Lunette exklusiv zu testen. Die Firma stellt uns unentgeltlich zwei Samples zur Verfügung, die wir direkt an Euch weiterleiten lassen. Ihr könnt zwischen fünf Farben und zwei Größen wählen.

Was Ihr tun müsst? Hinterlasst uns einfach bis zum 10. Mai 2017 einen Kommentar samt E-Mail-Adresse (nicht öffentlich sichtbar!) auf dem Blog: Verratet uns, wie Ihr Euer Leben im Alltag ressourcenschonender bzw. müllärmer gestaltet. Wir freuen uns über Tricks und Tipps. Unter allen Antworten zieht die Glücksfee am Ende die Gewinner.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Umtausch oder Barauszahlung des Gewinns sind nicht möglich.