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#Reset 7: Hilfe, ich lebe in einer Bibliothek!

Vor Kurzem habe ich mein Bücherregal neu geordnet, ein bisschen minimalisiert und die letzten Nachwehen unseres Umzugs beseitigt: Endlich meine Fach- und Schullektüre wieder thematisch zusammengestellt, damit sie sich effektiv und schnell nutzen lässt. Einzelne Lehrwerke aussortiert, um den Besitz so schlank wie möglich zu halten; aber viele waren es ohnehin nicht mehr. Denn eigentlich habe ich meinen Bestand schon auf das für mich Wesentliche reduziert. Zumindest bilde ich mir das ein. Könnte ich womöglich auf mehr verzichten? Vielleicht mache ich mir sogar etwas vor: Stimmt es denn, dass ich trotz digitaler Medien und Internet immer noch so stark auf Bücher angewiesen bin?

In der Schule steht mir für meine Fachbibliothek kein Platz zur Verfügung. Deshalb lagern meine Unterrichtsmaterialien zu Hause. Und deshalb bin ich durchaus darauf bedacht, den Bestand regelmäßig zu sichten und auf seinen aktuellen Nutzen zu überprüfen. Die Vorgabe des Minimalisten in mir lautet: Die vorhandene Regalwand muss für meinen Job als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Ethik genügen. Mehr Platz räume ich meiner Arbeit in den eigenen vier Wänden nicht mehr ein. Aber das ist schwerer getan als gesagt. Woran liegt das? Mit Blick auf den aussortierten Bücherstapel komme ich ins Grübeln… Und mir fallen folgende Verhaltensmuster bei mir auf:

1. Ideensammler oder das Horten von Schulmaterial
Zu Beginn meines Berufslebens bin ich in die – durchaus lehrertypische – Falle getappt: Als unsicherer Anfänger habe ich mir eingebildet, alles könnte irgendwie bzw. irgendwann hilfreich und nützlich sein. So habe ich teilweise wahllos altes Unterrichtsmaterial übernommen – vor allem von meinem Vater, der als Lehrer für die gleiche Fächerkombination tätig gewesen ist. Aber auch von pensionierten Kolleginnen und Kollegen. Und aus den Beständen unserer Schulbibliothek.

2. Da ist doch noch Platz: Einlagern ohne Durchblick
Das angehäufte Material ist daraufhin erst einmal zwischen den Regalwänden verschwunden – meist ohne vorherige Prüfung. Anfangs baute ich einfach jedes Mal ein neues Möbelstück vom Schweden an, wenn der Platz knapp wurde. Bis ich in einer Bibliothek gelebt habe.

3. Ein Teufelskreislauf: Ungenutzter Besitz und unüberlegte Neuanschaffungen
Weil ich die neuen alten Bücher meistens nicht im Vorfeld gesichtet hatte, griff ich in der Praxis  höchst selten darauf zurück. Denn ich wusste stellenweise überhaupt nicht (mehr), was ich besitze. Stattdessen kaufte ich wiederholt aktuelles Lehrmaterial nach und füllte die Regale weiter auf. Ein literarischer Teufelskreislauf.

4. Der Lehrer-Messie in mir oder: Das kann man ja mal irgendwann brauchen
Das Aussortieren fällt mir trotzdem bis heute schwer: Beginnt man unbeachtete Materialien erst einmal zu prüfen, präsentieren sie sich rasch als brauchbare „Schätze“ – zumindest in der Vorstellung. Im Alltag bleiben sie dennoch ungenutzt.

Minimalistische Binsenweisheit – nicht nur für Schulmeister
Die Erkenntnis, dass ich einen Großteil meines Unterrichtsmaterials (hier könnte man verallgemeinern: meines Besitzes) tatsächlich nicht nutze, erleichtert mir heute das Loslassen.
Außerdem nehme ich keine Bücherstapel von anderen mehr an, kaufe nicht mehr wahllos didaktische Sonderangebote. Denn die Erfahrung lehrt mich: Nur wenn ich mich bewusst für die Anschaffung eines bestimmten Lehrwerks oder geeigneter Arbeitsmaterialien entscheide, nutze ich sie auch. Und weiß selbst übernächstes Schuljahr noch, dass ich sie besitze.

Mein Fazit: Weniger ist tatsächlich mehr: Reduktion und bewusste Konsumentscheidungen befreien langfristig vom Gerümpel.

#Reset. Alles auf Anfang. Die Umzugs-Blogserie auf Minimalismus21.

Begleitet uns bei unserem Einzug in ein neues Leben. Alle vorherigen Teile der Serie findet ihr unter dem Suchbegriff #Reset rechts oben (Lupe) und natürlich bei Twitter.

Minimalismus und Zero Waste

Über Minimalismus und Zero Waste zu schreiben, fällt mir schwer. Denn ein Leben ohne Müll bzw. mit weniger Müll ist nicht nur ein hehrer Ansatz, sondern auch ein Thema voller Missverständnisse, Vorurteile und Angriffspunkte. Jüngstes Beispiel: Penny verzichtet ebenfalls auf die Plastiktüte. Ein aktueller Trend unter den Supermarkt-Ketten, der mit der geläufigen Annahme einhergeht, Einweg-Papiertüten und Baumwollbeutel seien per se nachhaltiger als die Kunststoff-Konkurrenz. Doch weit gefehlt: Beim Ressourcen- und Energieverbrauch schneiden die grünen Geschwister noch schlechter ab, d.h. viele Produkte erweisen sich erst ab einer längeren Nutzungs- bzw. Tragedauer als ökologisch vorteilhafter. Die Stofftasche müsst Ihr demnach mindestens 100 Mal ausgeführt haben.

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider
Wer also seinen Haushalt und seine Garderobe auf „grün“ umstellen will, sollte sich grundsätzlich überlegen, ob der Austausch gut erhaltener Artikel wie etwa Kleidung sinnvoll ist. Denn für jedes neue Stück werden neue Ressourcen und Energien fällig. Einen intakten Plastikrasierer gegen ein verchromtes Metallmodell zu ersetzen, ist nicht per se nachhaltiger. Und dennoch ist Herr M21er diesen Schritt vor einem Jahr gegangen und hat sich einen hochwertigen Nassrasierer von Mühle zugelegt, nachdem der Kunststoffvorgänger kaputt war. Sein Ansatz: Das Produkt eines mittelständischen, inhabergeführten Unternehmens, das Wert auf Nachhaltigkeit und lokale Fertigung legt. Das haben wir sogar in einem Unpacking-Video auf unserem YouTube-Kanal festgehalten.

Mein neuer Hobel hat mehr als das 12-fache meines bisherigen Modells gekostet. Dafür besitze ich jetzt ein Produkt für die Ewigkeit. Und das zahlt sich langfristig aus. Die Nassrasierer von Mühle sind mit allen klassischen Klingen kompatibel, die es in jedem Supermarkt günstig zu kaufen gibt. Insgesamt werde ich so unterm Strich sehr viel Geld (und Ressourcen) sparen.

Auch eine Form von Minimalismus: Weniger Müll im Bad

Keine Seite ohne Schatten
Ressourcen im Haushalt wollte auch ich beim Abschminken sparen. Nachdem der letzte Wattepad mein Badezimmer vor Kurzem verlassen hat, habe ich mir lokal bei OHNE – dem ersten verpackungsfreien Supermarkt in München – eine Packung Abschminkpads von Les Tendances d’Emma gekauft.
Die französische Firma produziert ökologische Textilien aus Biobaumwolle, waschbarem Bambus oder Eukalyptus (GOTS/Oeko-Tex-Standard).

Die Pads lassen sich prima bei 60 Grad waschen (auch wenn nur 40° C angegeben sind) und haben eine weiche und eine mikrofaserartige Seite. 300 Waschgänge überstehen sie laut Hersteller angeblich problemlos. Mein Tipp: Benutzte Pads gesammelt in einem Wäschesack in die Trommel geben. Doch selbst hier findet man die berühmte Nadel im Heuhaufen. Die Umverpackung enthält Plastik. Und alle Nähfans schlagen sich wahrscheinlich mit genau der Hand auf den Kopf, die mal eben einen Baumwollpad aus der Maschine zaubert. Anleitungen fürs Selbermachen und Nähen generell gibt es u.a. bei Shia von Wasteland Rebel sowie bei Kleider für Julia.

Apropos Verpackung: In Deutschland existieren klare und strenge Hygienevorschriften. So dürfen unsere Bambus-Zahnbürsten aus dem Hause Hydrophil bspw. nicht unverpackt daherkommen – hier immerhin in einer recycelten, 100% biologisch abbauberen Verpackung mit veganem Kleber. Auch nach zwei Jahren Nutzungsdauer (des Produkts, nicht der einzelnen Bürste) immer noch unser Favorit. Ein Alternativmodell haben wir Status Quo allerdings nicht getestet. Anmerkung: Als mir im letzten Sommerurlaub mein Modell im Hotel flöten ging, bin ich – mangels Alternativen – kurzfristig wieder auf ein Plastikmodell umgestiegen. Der Kunststoffschrubber fühlte sich eigenartig fremd, schwer und unnatürlich an. Für mich mittlerweile ein klares No-Go ebenso wie herkömmliche Ohrstäbchen. Plastikfreie Varianten mit Bio-Baumwollwatte gibt es in allen gängigen Drogeriemärkten. Die Frage, wie notwendig der Einsatz der Stäbchen ist oder nicht, muss jeder für sich selbst beantworten.

Unsere dentalen Begleiter im Badezimmer: Zahnbürsten von HYDROPHIL

Ergänzend sei an dieser Stelle ein Produkt erwähnt, das leider nicht dauerhaft in mein Badezimmer eingezogen ist, nämlich das native vegane Kokosöl aus dem Hause dm. Statt seidenweicher Lippen habe ich nach kurzer Zeit Schmirgelpapier über dem Kinn getragen. Die viel gepriesene Wunderwaffe gegen Hautirritationen aller Art und herkömmliche Lippenpflegestifte war bei mir ein Schuss in den Ofen. Grüne Allgemeingültigkeiten sind folglich auch bei Kosmetikprodukten immer kritisch und individuell zu hinterfragen.

Utopie Zero Waste?
Wer mehr zu müllfreieren Badprodukten und ihren Einsatz im Hause Minimalismus21 lesen will, dem empfehlen wir unseren Beitrag über die Zahnputztabletten von Denttabs oder unseren Versuch, eine in jeder Hinsicht – ethisch – korrekte Seife zu finden.
Darüber hinaus interessiert uns Eure Meinung: Macht der Begriff „Zero Waste“ (eng verbunden mit der Französin Bea Johnson) überhaupt Sinn? Müssten wir nicht lieber von einem Streben nach „Less Waste“ sprechen, weil jede Produktion von Gütern Spuren hinterlässt? Und weil wir qua unserer menschlichen Existenz und Beschaffenheit permanent „Rückstände“ produzieren?

Schreibt uns Eure Meinung (und Produktempfehlungen) gerne in die Kommentarbox.

Nachlese: Ich bin raus (Robert Wringham)

Ich bin raus liest sich wie eine Brandrede, denn Robert Wringham ist ein entflammter Autor. Einer, der Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung aufzeigen möchte. Einer, der bereits im Vorwort sämtliche Formen der „Lohnknechtschaft“ verteufelt. Einer, der keinen bzw. kaum Platz für Menschen lässt, die ihren Job nicht grundsätzlich als moderne Sklaverei und alternativlose Tretmühle empfinden. Der Herausgeber des Magazins New Escapologist benutzt – wie passend – eine historische Figur, die als Metapher und Vorbild den Weg aus den Fesseln der modernen Konsumgesellschaft beschreiben soll: Harry Houdini, amerikanischer Entfesselungs- und Zauberkünstler.

Arbeit und Konsum entkommen
Wir werden benebelt und verbraucht. Von den sozialen Fesseln der Gesellschaft, von Personalabteilungen, Großraumbüros, unbefriedigenden Berufen, (selbstverursachten) Schuldenbergen, 40-Stunden-Wochen uvm. Wenn man Arbeitszeit, Konsumzeit und Schlafzeit abrechnet, bleibt nicht mehr viel Zeit für Freiheit, so Wringham. Sein Alter Ego Houdini dagegen beherrscht eine Kunst, die auch wir auf das wirkliche Leben anwenden sollen: Raus aus den sklavischen Gedanken, die uns die Wirtschaft einimpfen möchte, darunter ein stetes Gefühl der ungesättigten Unzufriedenheit dank ausgeklügelter Marketingstrategien. So weit, so gut. Doch spätestens an dieser Stelle wird die Wut des Autors zu einem Flächenbrand.

Autor Robert Wringham © Stuart Crawford Photography

Der gebürtige Engländer fordert den Leser dazu auf, seinen Job zu kündigen und sein Recht auf Faulheit einzufordern. Dabei geht es keineswegs um das totale Nichtstun, nein. Es geht um eine kreativere, bewusstere und befriedigendere Tätigkeit. Und hier möchte und muss ich gleich „Stopp“ rufen. Setzen wir das bedingungslose Grundeinkommen voraus und die Tatsache, dass jeder nach seiner Façon wirtschaften kann: In einer Welt, die lediglich aus Poeten und Künstlern besteht, können wir dennoch nicht leben. Es sei denn, Digitalisierung und Roboterisierung sind so weit fortgeschritten, dass wir uns weder ums tägliche Brötchen, das Leeren der Aschentonnen und sonstige (unbequeme) Tätigkeiten Gedanken machen müssen.

Geht es nach Wringham, sind die meisten Jobs heute jedoch nichts anderes als Bullshit-Bingo, dazu angedacht, uns zu verwahren und uns mit sinnlosen Tätigkeiten zu beschäftigen. Wir stecken in Angestellten- oder Service-Jobs fest, die die Wirtschaft stützen, den Reichen noch mehr Einkommen verschaffen und uns zu einer Sache verleiten: Schrott zu verkaufen, den keiner braucht. Wir sind völlig besessen davon, dass Arbeit an sich schon ein Wert ist. Und diese Wertvorstellung wird auf rund 330 Seiten konsequent angefochten. Entfesselt Euch!

Entfesselung als (Raus-)Weg aus Arbeits- und Konsumfalle

Ich will nicht abstreiten, dass für diesen Kampf einige brauchbare Modelle in der Lektüre vorgeschlagen bzw. Alternativen genannt werden, die die Arbeits- und Lebensqualität verbessern können. Dazu gehört die sog. „Tele-Arbeit“ in Form von Skype und Co. sowie eine Auflockerung der Präsenzpflicht, die uns nicht mehr länger an einen festgelegten Platz bindet. Viele moderne Firmen leben das längst vor.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die menschliche Geschichte, der zeigt, dass Arbeit historisch betrachtet nicht immer den heutigen Stellenwert hatte – gar mit Fluch, Würdelosigkeit, später mit Tugend oder einem kurzfristigen Übel belegt war. Heute – so die These – steht hinter unserem Arbeitsethos nur mehr ein Antrieb: unsere Möglichkeiten als Konsument zu verbessern. Verschärft ausgedrückt: Beim Shoppen holen wir uns ein bisschen Würde zurück, indem wir coole Produkte kaufen. Mit anderen Worten: Shopping ist eine vollkommene Abwechslung von der Arbeit, man hat es sich im wahrsten Sinne des Wortes verdient. Der Konsum wird zum Lebenszweck, jede verbrauchte Ressource in diesem Zusammenhang ist uns ebenso egal wie die eingeplante Obsoleszenz.

Vom Haben zum Sein
Diese Vorwürfe muss man aushalten. Zumal Robert Wringham in seinem emotionalen Rundumschlag in weiten Teilen außer Acht lässt, dass es mittlerweile genügend Gegenbewegungen und -strömungen gibt, wie Zero-Waste-Pionierin Bea Johnson oder Mark Boyle, der Mann ohne Geld, zeigen. Bei Wringham immerhin eine Erwähnung wert, der seine Empörung im zweiten Teil des Buches dankenswerter Weise mehr und mehr hinter sich lässt und auf eine sachlichere Ebene zurückkehrt. Eine spannende These, die unter Kritikern des Minimalismus durchaus zurecht für Stimmung sorgt: Bevor wir uns Werten wie Raum, Zeit, Privatsphäre sowie einer besseren Gesundheit hingeben, müssen wir uns erst ausgiebig mit der Anschaffung von Sachen beschäftigt haben. Am Ende sind wir also nicht die Summe unseres Besitzes, agieren aber evolutionspsychologisch betrachtet immer noch wie der Höhlenmensch in einer digitalisierten Welt: Aus Angst vor Dürrezeiten und materiellem Mangel horten wir (unbewusst), dass die Schwarte kracht. Übermäßiges Essen, sexueller Opportunismus und Ehrgeiz inklusive. Konkurrenzdenken, Eitelkeit, Ego und Geltungskonsum tun ihr übriges.

Minimalismus als Fluchtweg und alternatives Lebensmodell

Ich bin raus von Robert Wringham

Folgt man dem Lebensmodell des Schriftstellers, dann sind nur wenige Dinge der Konsumwelt wirklich wichtig und nicht entbehrlich, genauso wie Minimalismus am Ende mehr meint als das bloße Entrümpeln. Minimalismus ist eine persönliche Form des Protests gegen die Überflussgesellschaft. Genauso wie das polarisierende, lautstarke, emotionale und persönliche Buch von Robert Wringham.

Eine Lektüre, die die Wut des Verfassers auf den Leser überträgt. Und am Ende doch noch Vorbilder und gangbare Lebensmodelle aufzeigt.

 

Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns beim Heyne Verlag:

Robert Wringham: Ich bin raus. Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung. Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 (16,99 Euro).