Er wurde bereits von vielen Medien, Magazinen, Autoren oder Blogs wie Minimalismus21 bejubelt, hoch gelobt und empfohlen – der im November 2017 erstmals im Kino ausgestrahlte Dokumentarfilm Zeit für Stille von Patrick Shen. Was soll, kann, darf ich über ein halbes Jahr später noch sagen? Nichts und doch manches. Nichts, denn der Film verdient sein Lob, beeindruckt mich und gibt (heute und garantiert auch noch in den nächsten Jahren) zu denken. Aber doch manches, denn er lässt mich einerseits die Ohren spitzen und lässt mich andererseits in einem Punkt nicht in Ruhe.
Der Film trifft es auf den Punkt – und mich!
Muss erst ein solcher Film her, um der „Zeit für Stille“ Gehör zu verschaffen? (Leider) ja. Eigentlich bin ich ein Mensch, der sich viel Zeit für Stille nimmt und weiß, dass er sie braucht; dachte ich. Der Film belehrt mich eines Besseren und trifft mich wie ein lauter Donnerschlag: Nein, ich nehme mir kaum Zeit für Stille, ich habe sie meistens gar nicht, bin ebenfalls ein Opfer von Großraumbüro, Networking und ständig ausgelieferter Beschallung. Die – ich sage mal – Ohrfeige schüchtert mich aber keineswegs ein. Im Gegenteil! Sie spornt mich an, mir mehr Zeit für und vor allem mehr Recht auf Stille herauszunehmen. Mehr NEIN zu Lärm und Störungen zu sagen wie auch zu zeigen. Mir schlichtweg mehr Auszeit von Beschallungen zu nehmen und einzufordern.
Was ich an dem Film zudem schätze: Neben Religion und Ritualen kommt auch die Wissenschaft zu Wort. Ich bin Wissenschaftlerin und denke bei Stille auch an ihre Messbarkeit in Dezibel. Wie vielen Dezibel wir tagtäglich – trotz der vielen Lärmschutzverordnungen und psychischen Gefährdungsbeurteilungen zum Thema Lärm – ausgeliefert sind, setzt Patrick Shen mit Getöse in Szene.
„Stille Gegenden ermöglichen es uns, zuzuhören“. Die Aussage von Kurt Fristrup, Bioakustik-Forscher (was es so alles gibt) vom National Park Service USA, ist für mich ebenfalls von großer Bedeutung und eine Zielvorgabe für mich. Wer sich die Zeit für Stille nimmt, ist erst wirklich im Stande, ein offenes Ohr für andere und anderes zu haben sowie deren Bedürfnis nach Stille zu verstehen.
Wo bleibt der Respekt für meine Zeit für Stille?
Wie verschaffe ich mir aber Respekt für meine Zeit für Stille, für mein Recht auf Ruhe? Mir geht es vor allem um den Respekt seitens der Familie, der Freunde, der Kollegen, der Nachbarn – also des direkten Umfelds. Die Antwort bleibt mir der Film schuldig.
Ich will nicht stets in dem abgelegensten Wald Zuflucht suchen für mein Recht zu fliehen. Ich will nicht erst dem Buddhismus oder einer anderen Religion beitreten, um zu meinem Recht zu kommen. Ich will keine Dauerkarte im Schweigekloster bestellen, um mein Recht zu erkaufen. Ich will mich nicht dauernd erklären müssen, um mein Recht zu rechtfertigen. Ich will nicht wegen Respektlosigkeit als zickig, als sozial inkompetent oder als Kommunikationskrüppel abgestempelt werden.
Also, lieber Patrick Shen, was ist deine Lösung für mich? Eine Fortsetzung des Films?
Habt Ihr einen Lösungsvorschlag für unsere Gastautorin? Dann hinterlasst uns einen Kommentar. Und gewinnt mit etwas Glück eine von zwei DVDs des Dokumentarfilms Zeit für Stille.
Jeder Beitrag samt E-Mail-Adresse (nicht öffentlich sichtbar!) wandert in den Lostopf. Teilnahmeschluss ist der 13. Juli 2018. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Umtausch oder Barauszahlung des Gewinns sind nicht möglich. Teilnahmeberechtigt sind Personen ab 18 Jahren. Viel Glück!
Für die beiden Exemplare bedanken wir uns bei mindjazz pictures.
Über die Autorin
Dr. Wiebke Hellmann ist ein Nordlicht, das es bereits vor vielen Jahren in den Süden verschlagen hat. Vor vielen, wenn auch nicht ganz so viele Jahren, hat sie zudem als promovierte Geologin der akademischen Laufbahn den Rücken gekehrt und sich auf den Weg des Technik-Journalismus begeben. Er ist mittlerweile in die strategische Ausrichtung von Videos mit redaktionellen Inhalten abgebogen.
Offen für vieles zu sein, ist Wiebke sehr wichtig. Doch sie gibt zu: Sich auf etwas Neues einzulassen, das vor allem das Leben umkrempelt, fällt ihr keineswegs leicht.
Aber irgendwann doch den Schritt zu wagen, ist ihr Ziel.
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Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, schütze ich mich vor Lärm immer mit etwas normaler Baumwollwatte. Alles wirkt etwas gedämpfter (wie im Winter, wenn Schnee liegt), auch überraschend auftretendem Lärm wie dem von Presslufthämmern und Martinshörnern nimmt es etwas die Schärfe. Dasselbe mache ich auch bei längeren Autofahrten, genug hören tut man trotzdem noch, auch Radiohören (dies muss halt ein wenig lauter gestellt werden) ist noch möglich (wirkt wie Dolby).
Hallo Ferdinand,
das ist natürlich auch eine Maßnahme. Vielen Dank. Das Problem finde ich nur, wenn ich Watte im Ohr habe rauscht es so im Gehörgang – aber entweder das oder den Höllenlärm in der Stadt. Beim Autofahren wäre ich mit Watte im Ohr glaube ich zu ängstlich.
Beste Grüße Wiebke
Communication is key: Die Inkenntnissetzung der Mitmenschen über den etragreichen Segen der Stille vermag nicht nur die frequente Realisierung ebenjener zu effizieren, sondern auch die interpersonalen Beziehungen mittels eines zunehmenden reziproken Verständnisses signifikant zu sublimieren.
Ich hätte es nicht besser sagen könne, Falko. 😉
Beste Grüße Wiebke
„Ich will nicht wegen Respektlosigkeit als zickig, als sozial inkompetent oder als Kommunikationskrüppel abgestempelt werden.“
Oh ja, diesen Wunsch kenne ich auch sehr gut. Es ist schmerzhaft, sich wie ein „Freak“ zu fühlen und irgendwie ständig gegen den Strom zu schwimmen. Ich mag die Stille sehr gern, die Langsamkeit, die Muße, die Einfachheit, das Alleinsein – alles Phänomene, die so gar nichts mit dem zu haben, was in unserer Gesellschaft als „Norm“ zu gelten scheint.
Ich glaube, man muss es ab und zu einfach in Kauf nehmen, als komisch abgestempelt zu werden. Wie Falko schreibt: Auf die Dauer werden die Menschen in unserem Umfeld den Wunsch nach Rückzug wahrscheinlich zu respektieren und vielleicht sogar zu schätzen wissen (wartet dabei doch ein solcher Reichtum darauf, entdeckt zu werden …). Und wenn gar kein Verständnis möglich scheint, dann ist die jeweilige Beziehung vielleicht nicht (mehr) tragfähig? Auch das finde ich letztlich okay.
Dabei fällt mir das folgende Zitat ein:
„Egoismus besteht nicht darin, dass man sein Leben nach seinen Wünschen lebt, sondern darin, dass man von anderen verlangt, dass sie so leben, wie man es wünscht.“ (Oscar Wilde)
Da ist viel dran, finde ich. Nicht selten wird man wahrscheinlich als egoistisch abgestempelt, wenn man erstmal gut für sich selbst sorgt. Aber ist es nicht vielmehr umgekehrt egoistisch und kindisch, wenn andere von uns erwarten, dass wir uns ständig „verleugnen“, um deren vermeintlichen Bedürfnissen oder unhinterfragten Normen zu entsprechen? Ich finde das lieblos für alle Beteiligten und möchte nicht länger so leben.
Für mein Empfinden ist es deshalb das Wichtigste, sich selbst das eigene So-Sein und die eigenen Bedürfnisse zu erlauben und dazu zu stehen. Wenn wir uns nicht ständig vor uns selbst rechtfertigen, dann scheint auch von den Menschen, mit denen wir uns umgeben, weniger Irritation oder Gegenwind zu kommen. Und wenn ich mir selbst gegenüber achtsamer werde, dürfte ich es mittel- und langfristig auch gegenüber anderen werden – ein möglicher Freak- oder Egoismusvorwurf verliert dann seine Kraft. Oder?
Naja, nicht immer leicht, das Ganze, und Rezepte und Lösungen gibt es wohl nicht ;). Nur viele kleine Schritte, viele kleine individuelle Stellen zum Ansetzen im Alltag. Vielleicht sind das Interesse an der Stille, das Erforschen und das Rumprobieren schon die Antwort, ganz im Sinne von „Der Weg ist das Ziel“?
Du sprichst mir aus der Seele.
Bei mir wird seit jeher gerne jedweder Ballast abgeladen, vor allem von meiner Familie. Seit ich mich dem verweigere indem ich weniger Kontakt halte und mir den Tag für Kommunikation selber aussuche anstatt jedes Mal auf einen eingehenden Anruf oder Whatsapp Nachrichten zu reagieren, geht es mir damit zumindest etwas besser.
Hallo Dorothea,
vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag. Da steckt vieles drin, dem ich umgehend zustimme. Und ja: Schritt für Schritt ist sicherlich ein guter Lösungsansatz.
Beste Grüße Wiebke
Ich sitze jetzt auch grad hier und merke, wie laut es eigentlich ist. Es ist zwar schon nachts, aber der Fernseher läuft und mir wird auch gerade was erzählt, nebenbei schreibe ich noch den Text. Ich kriege also gar nicht mit, was im Fernsehen läuft, höre mit einem halben Ohr auf die Erzählungen und in meinem Kopf rattern auch noch Gedanken. Im Grunde genommen ist es also unerträglich laut und die ganzen Sinneseindrücke zu erfassen ist eine ziemliche Herausforderung.
Trotzdem hat man denke ich jeden Tag viele Möglichkeiten, sich einfach zurückzuziehen und die Stille zu genießen, man muss sie einfach nur wahrnehmen. Das können auch nur kurze Augenblicke sein, aber in der Hektik lässt man sie einfach vorbeiziehen. Du könntest mal versuchen einen Tag lang Achtsamkeit darauf zu legen, wenn sich genau solche Situationen ergeben.
Liebe Barbara,
herzlichen Dank für deine Zeilen. Wahre Worte! „Achtsamkeit“ ist sicherlich das Schlüsselwort – nicht nur für mich.
Beste Grüße Wiebke
Wie still es sein kann – das ist mir in diesem Urlaub erst wieder aufgefallen. Ich sitze auf dem Balkon, der Blick schweift über plattes Land in Schleswig-Holstein und der Wind kitzelt in der Nase. Doch zu Hause erwartet mich der typische Lärm der Straße, obwohl ich auch dort sehr ländlich wohne. Nicht einmal Spaziergänge in Ruhe und Stille sind möglich, da immer eine große Straße überquert werden muss – egal in welcher Richtung ich das Dorf verlassen würde. Manche Strecken verlaufen parallel der großen Straßen. Wir sind umzingelt von Autobahnen und anderen Schnellstraßen – schönes Leben auf dem Land?!
Mein erster Lösungsansatz: weniger Konsum! Und wenn ich konsumieren muss (Lebensmittel zum Beispiel!), dann überwiegend regional = weniger LKWs etc auf den Straßen unterwegs = weniger Verkehrslärm + weniger Baustellenlärm + weniger „Lärm“ durch Einsatzwagen, da weniger Unfälle…
(Natürlich hat weniger/regionaler Konsum noch weit mehr Vorteile für uns und die Umwelt…)
Mein zweiter Lösungsansatz: ich verkaufe mein Auto. Ein Fahrzeug weniger, das Lärm für mich (und andere Menschen) verursacht. Vielleicht haben ja noch mehr Menschen den Mut, auch in einer ländlichen Gegend auf ihr Auto zu verzichten oder ab und an einfach stehen zu lassen.
Liebe Leserinnen und Leser,
herzlichen Dank für Eure tollen Kommentare, Eure klugen Vorschläge und den Raum für mehr Stille, den Ihr mit Euren Antworten geschaffen habt.
Die Glücksfee ist soeben still und heimlich in zwei Postfächer geflattert.
Falls Sie nicht bei Dir/ Euch gelandet sein sollte:
Guck(t) doch einfach mal in unseren aktuellen Blogpost zum Thema „Out of Office. Ichzeit 2018“. Hier kann es für ein ganzes Jahr so richtig „hyggelig“ werden.
Alles Liebe
M21