Michael lebt schon immer relativ sparsam und minimalistisch. Deshalb stand ihm sogar zu Studentenzeiten trotz wenig Arbeit stets ausreichend Geld zur Verfügung. Im Laufe der Jahre hat er sich dennoch gefragt, warum Menschen mit dem Drei- oder Vierfachen seines Einkommens oft Geldprobleme aufweisen. Schließlich traf er vor Jahren einen englischen Aussteiger in Indien. Nach eigenen Aussagen hatte dieser sich 200.000 Euro erwirtschaftet, dann aber das Berufsleben nicht mehr ausgehalten. „Er rechnete mir vor, wie lange er mit diesem Betrag in Indien leben könnte. Aber auch seine Geldquelle war endlich“, erinnert sich der Münchner. „Durch Zufall bin ich vor einiger Zeit auf die Szene der Frugalisten gestoßen. Frugalisten leben einen bescheidenen Lebensstil und versuchen, einen Großteil ihres Einkommens zu sparen, um nach einiger Zeit von den Zinserträgen des angelegten Kapitals leben zu können.“ Dem Enddreißiger leuchtete dieses Lebensmodell schnell ein, umso mehr, da er selbst nicht sonderlich viel Wert auf Luxus legt und bescheiden lebt. „Macht man sich von übermäßigem Konsum frei, muss man auch wenig für den wenigen Konsum arbeiten. Oder man legt eben das gesparte Geld an“, so sein Fazit.
Mit Weniger zum Mehr: Faszination Frugalismus
Als Verzicht oder Verlust empfindet der Geograph den Frugalismus allerdings nicht. Seine These: „Jemand, der von Grund auf ein minimalistisches Leben führt, muss sich ja überhaupt nicht einschränken, um einen Großteil seines Einkommens zu sparen. Man schlägt quasi zwei Fliegen mit einer Klappe, was positive (nachhaltige) Auswirkungen hat: Du musst für weniger Konsum weniger arbeiten. Es muss weniger produziert und folgerichtig weniger weggeschmissen werden, weniger Energie und Rohstoffe werden verbraucht, weniger Müll entsteht. Du hast mehr Zeit, weil Du ja weniger arbeiten musst.“ Die Liste ließe sich ewig verlängern.
Das wohl bekannteste deutsche Forum zum Thema „Frugalismus“ betreibt der 30-jährige Oliver Noeltig aus Hannover, der bereits in zahlreichen deutschsprachigen Medien zu Wort gekommen ist, u.a. zu den Punkten „Antikonsumerismus“, finanzielle Freiheit, Geldanlage sowie passives Einkommen. Ihm und vielen anderen Frugalistinnen und Frugalisten hat Michael Gehör geschenkt und die besten 100 Tipps aus zahlreichen Gesprächen in einem rund 80-seitigen E-Book versammelt. Ein Interviewpartner: die amerikanischen Segellegende Cap‘n Fatty Goodlander, der seit über 50 Jahren über die Weltmeere segelt und ein abenteuerliches Leben mit wenig Geld führt. „Wie geht das?“, fragte sich der Autor. „Welche Einstellung hat so jemand zu Geld und Eigentum?“.
Erste Antworten auf diese Fragen liefert Frugalist Noelting. Minimalismus21 bedankt sich bei Michael Robert, der uns einen Auszug aus seinem Interview mit Oliver zur Veröffentlichung auf dem Blog zur Verfügung gestellt hat. Das ganze Gespräch gibt es natürlich im Buch.
Lieber Oliver, Du betreibst den wohl bekanntesten deutschsprachigen Blog zum Thema „Frugalismus“. Wie kam es dazu?
Vom US-amerikanischen Vorbild der Frugalisten, der FIRE-Bewegung, hörte ich 2013 zum ersten Mal. FIRE steht für Financial Independence, Retire Early, was auf Deutsch so viel heißt wie Finanzielle Unabhängigkeit und frühe Rente. Alles fing damit an, dass ein Bekannter mir von Mr. Money Mustache erzählte – dem bekanntesten Blogger dieser Szene. Der hatte nur neun Jahre in seinem Job gearbeitet und von seinem Einkommen so viel gespart, dass er bereits mit 30 ausgesorgt hatte. Auf seinem Blog erklärt er, warum das amerikanische Lebensmodell aus Arbeit und Konsum nicht zum Glücklichsein taugt und wie man mit deutlich geringeren Ausgaben zufriedener und erfüllter leben kann. Wenn man dazu noch einigermaßen verdient, kann man auf diese Weise leicht genug sparen, um schon mit 30 oder 40 nicht mehr für Geld arbeiten zu müssen.
Der Blog und die Ideen dahinter begeisterten mich sofort. Ich fing an, das Standard-Lebensmodell aus Arbeit und Konsum zu hinterfragen, bewusster zu leben und meine Ausgaben in einem Haushaltsbuch zu notieren. Außerdem las ich einige Bücher und Blogs über Geldanlage und Aktien. Ich wollte lernen, wie ich mein Geld erfolgreich anlegen konnte. Als ich zwei Jahre später meinen ersten Job als Softwareentwickler antrat, konnte ich so ohne Schwierigkeiten direkt 70% meines Einkommens sparen und investieren.
Schon von Anfang an fand ich es schade, dass die FIRE-Bewegung in Deutschland kaum bekannt war. In den USA gibt es zahlreiche Blogs und Bücher zu diesem Thema. Blogger wie Mr. Money Mustache haben zehntausende Follower. In vielen Städten finden regelmäßige FIRE- Meetups statt, auf denen sich Gleichgesinnte austauschen. Darum startete ich Ende 2015 – damals war ich gerade 27 – meinen eigenen Blog frugalisten.de. Meine Idee war, die FIRE-Philosophie nach Deutschland zu bringen und mit Leuten in Kontakt zu kommen, die ähnlich dachten wie ich. Auf meinem Blog schreibe ich über Lebenskunst, Sparstrategien und wie man sein Geld sinnvoll anlegt. Außerdem veröffentliche ich regelmäßig meine genauen Einnahmen und Ausgaben. Ich selbst habe das Ziel, mit 40 ausgesorgt zu haben, und dokumentiere auf dem Blog meinen Weg zu diesem Ziel.
Wie hat Dich die Erkenntnis, dass man ja gar nicht bis „zur Rente“ arbeiten muss, verändert?
Als ich von FIRE erfuhr, befand ich mich gerade am Ende meines Studiums. Sobald ich meinen Abschluss in der Tasche hätte, dachte ich, werde ich 40 Jahre lang acht Stunden täglich in einem Büro sitzen und arbeiten müssen. Damit das leichter erträglich ist, würde ich mir vermutlich ein schönes Auto kaufen und mich am Wochenende mit Restaurant-Besuchen oder Shopping-Ausflügen belohnen. Irgendwie enttäuschte mich diese Vorstellung aber. Soll das alles gewesen sein? Hat das Leben nicht mehr zu bieten? Eigentlich wollte ich noch andere Dinge machen als nur in einem Job zu arbeiten und am Wochenende das verdiente Geld wieder auszugeben. Skateboard fahren, Zeit mit meiner Freundin verbringen, bloggen, eigene Projekte verfolgen, Freunde treffen. Die Dinge eben, für die ich als Student noch jede Menge Zeit hatte.
Nachdem ich Mr. Money Mustache entdeckte, begriff ich, dass ich gar nicht bis 67 arbeiten muss und dass ich mit meiner Lebenszeit mehr anfangen kann, als sie im Job zu verbringen. Und dass das schöne Auto und ständiges „Belohnen“ am Wochenende mein Leben nicht wirklich bereichern, sondern eher dafür sorgen, dass ich umso länger und härter arbeiten muss.
Beschreibe doch kurz Deinen Lebensstil. Ist es nicht manchmal frustrierend zu sehen, wie andere tolle Fernreisen machen oder ein schickes Auto fahren und man selbst fährt „nur“ mit dem Zug zum Campen?
Mein oberstes Ziel ist es, ein möglichst zufriedenes und erfülltes Leben zu leben: Ein gesundes soziales Umfeld zu haben, einen verlässlichen Partner, gute Freunde, mit denen ich etwas unternehmen kann. Regelmäßig Sport zu treiben und in der freien Natur unterwegs zu sein. Einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen. Herausforderungen zu suchen und ständig Neues dazuzulernen. Über meine Zeit frei verfügen zu können. Das sind die Dinge, die – wissenschaftlich sogar erwiesen – für ein gutes Leben wichtig sind.
Ich weiß also genau, dass die anderen Menschen nicht glücklicher sind, weil sie schicke Autos haben und im 4-Sterne-Ressort Urlaub machen. Im Gegenteil denke ich sogar, dass ich ein spannenderes und erfüllteres Leben führe, weil ich mich eher auf die gerade genannten Dinge fokussiere, statt auf Bequemlichkeit und Konsum. Ich versuche, mit Absicht Herausforderungen zu suchen und nicht immer den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Auf diese Weise entwickele ich mich weiter, werde unabhängiger und lerne Neues dazu. Ich nehme mit Absicht lieber das Fahrrad, anstatt mit dem Auto zu fahren. Wenn etwas kaputt geht, versuche ich es selbst zu reparieren. Ich mache auch meine Steuererklärung selbst oder stelle meine eigene Seife her. Auf diese Weise ist das Leben viel abwechslungsreicher und man entwickelt sich vom passiven, abhängigen Verbraucher zu einem aktiven, selbstbestimmten Lebenskünstler. Das Geldsparen ist dabei fast schon ein Nebeneffekt.
Letzten Endes ist für ein gutes Leben auch entscheidend, mit dem zufrieden sein zu können, was man hat. Unser Umfeld und die Werbung versuchen uns immer einzureden, dass uns immer noch irgendetwas für das perfekte Glück fehlt. Die Haarkur mit der neuen Power-Formel, die Thailand-Reise, die neue Surround-Anlage. Dabei sind Glück und Zufriedenheit eher eine innere Einstellung, die man mit Produkten oder Dienstleistungen schwer kaufen kann. Am Ende ist vermutlich derjenige am Glücklichsten, der sich entspannt zurücklehnen und sagen kann: „Mir ist das alles egal. Ich habe schon alles, was ich brauche, und genieße einfach das Leben.“
Muss man grundsätzlich ein bescheidener und sparsamer Mensch sein, um als Frugalist glücklich zu werden?
Auf jeden Fall sollte man nicht das Gefühl haben, auf etwas zu verzichten, was man eigentlich gerne hätte. Man sollte sich nicht zwingen müssen, Geld zu sparen, sondern es sollte sich ganz leicht und natürlich anfühlen – aus der inneren Einstellung heraus. Das klappt wahrscheinlich am besten, wenn man von Natur aus schon ein genügsamer Mensch ist. Andernfalls muss man eben bereit sein, sich weiterzuentwickeln und mehr Bescheidenheit und Achtsamkeit zu entwickeln. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass das positive Eigenschaften sind, die einem ermöglichen, das Leben viel mehr auszukosten und glücklicher und freier zu leben.
Über den Autor
Michael Robert ist 38 Jahre alt und arbeitet derzeit als Geograph sowie immer wieder auch als Führer von Outdoor-Veranstaltungen in den Alpen. Das Buch „100 Tipps für Frugalisten“ ist sein erstes Buch, ein zweites – reines – Interviewbuch zum Thema ist aber schon im Entstehen. Über seinen frugalistischen Lebensstil sagt er: „Ich lebe ja im Prinzip schon fast immer als Frugalist. Nur hatte das früher keinen Namen. Von daher hat sich diesbezüglich nichts verändert, im Gegenteil: Ich konnte mich bis jetzt ziemlich aus dem Hamsterrad aus Arbeit, Konsum, Schlafen heraushalten.“