Viele feinfühlige Menschen sitzen in einem Job fest, in dem sie sich nicht wohlfühlen. Gleichzeitig trauen sie sich aber auch nicht, den Arbeitsplatz zu wechseln – zu groß ist die Angst, möglicherweise keinen adäquaten Ersatz zu finden. Deswegen machen viele weiter wie bisher, nicht selten auf Kosten der eigenen Gesundheit. Heute möchte ich Dich dazu einladen, eine etwas ungewöhnliche Option der beruflichen Neuorientierung ins Auge zu fassen: Das minimalistische Leben.
Minimalismus – eine Art, das Leben konsumreduzierter zu gestalten
Wenn Du minimalistisch lebst, kaufst Du Dir möglicherweise kein nagelneues Auto oder nicht die neueste Jeans. Du fährst nicht für 2000 Euro in den Urlaub, sondern für 900 – und das nicht dreimal, sondern maximal einmal im Jahr. Du besitzt keine teuren Markengeräte bzw. überlegst Dir, ob das eine oder andere Gerät wirklich notwendig ist. Genauso wenig muss das Freizeitprogramm immer ein „kostenpflichtiges“ sein. Vielleicht drehst Du ja eine abendliche Spazierrunde im Heimatort, triffst Freunde in den eigenen vier Wänden oder entleihst (solltest Du eine Leseratte sein) regelmäßig ziemlich viele Bücher aus der Bibliothek. Weiterhin duschst Du mit Kernseife, spülst die Haare mit Apfelessig und kaufst auch mal Klamotten sowie Möbel im Gebrauchtwarenhaus.
Klingt altbacken und ziemlich langweilig? Manche werden das so sehen. Andere wiederum führen sich die Vorteile dieses einfachen Lebens zu Gemüte. Es bietet aufgrund der (bewusst gewählten!) Reduzierung nicht gerade wenige: Vier Pluspunkte, die für Minimalismus sprechen.
1. Mehr Geld in der Tasche
Wenn Du weniger Geld für (zusätzlichen) Luxus ausgibst, kannst Du mehr sparen – das ist ein ganz einfacher Fakt. Ein Beispiel: Wer ein Haus kauft, wird sehr wahrscheinlich Schulden machen. Doch das ist nicht das Ende der Fahnenstange. So ein Haus zu unterhalten kostet auch Geld. Mal ist die Heizung kaputt, dann muss gestrichen oder ein Rasenmäher angeschafft werden oder Pflanzen für den Garten. Wenn Du zur Miete wohnst, fällt vieles davon weg, Du hast weniger Arbeit damit (also mehr Zeit für Dich) und kannst mehr zur Seite legen. Merke: Ein finanzielles Polster im Hintergrund lässt einen im Normalfall deutlich entspannter auf einen möglichen Jobwechsel schauen als ein Konto im Minus. So kannst Du, wenn es hart auf hart kommt, durchaus auch mal einen oder zwei Monate der Nichtbeschäftigung überbrücken.
2. Freier in den Entscheidungen
Wenn Du weniger konsumierst, kannst Du freier entscheiden – das haben schon viele feinfühlige Menschen erkannt. Stell‘ Dir vor, eine Tätigkeit auszuüben, die Dich zwar unglücklich macht, Dir aber gleichzeitig ein wunderbares Leben finanziert, d.h. Du wohnst in Deiner Traumwohnung, fährst Dein Traumauto, düst mit Freunden mehrmals im Jahr in den Wellness-Urlaub, klagst aber währenddessen ständig über den Job. Das vermiest Dir ganz schön die Laune – und nebenbei bemerkt: Deinem Umfeld auch. Das Problem dabei ist, dass Du ja gar nicht anders handeln kannst, d.h. Du musst diesen Job ausüben, um diesen „hohen“ Lebensstandard zu finanzieren. Überlegung: Wäre es vielleicht nicht auch ein guter Tausch, ein paar Einschnitte im persönlichen Konsum zu machen, dafür aber einen (möglicherweise schlechter bezahlten) Job anzunehmen, für den Du brennst?
3. Ein gesünderes Leben führen
Viele (nicht nur sensible!) Menschen führen ein Leben im Dauerstress – die zahlreichen Burnout-Kranken in den Kliniken können ein Lied davon singen. Dabei ist es doch so: Wenn Du weniger konsumierst, brauchst Du weniger Geld, welches am Monatsanfang auf dem Konto eingehen muss. Wenn weniger Geld eingehen muss, könntest Du auch weniger arbeiten (natürlich nur, sofern Du das willst und Dein Arbeitgeber das mitmacht). Solltest Du Dich also in einem kraftraubenden Jobhamsterrad befinden, ist es eine realistische Option zu prüfen, ob es nicht möglich ist, die Arbeitszeit zu reduzieren und damit dem Dauerstress zu entgehen. Gerade empfindsame Menschen brauchen noch mehr als andere ein gesundes Maß an Anspannung und Entspannung, um beruflich das Beste aus sich herauszuholen. Ein Leben im Jobhamsterrad ist das Gegenteil davon.
4. Bewusster leben
Vor Kurzem las ich einen interessanten Artikel über beruflich erfolgreiche Personen, die ein überdurchschnittliches Gehalt für sich verzeichnen können. Jeder der Interviewten führte ein Leben, das so ziemlich nichts vermissen ließ. Finanziell gesehen hatten sie wirklich alles, nur eines fehlte einem jedem von ihnen: Zeit. Zeit ist ein Luxus, der nicht zu unterschätzen ist. Wenn Du Zeit hast, kannst Du Dich auf die wirklich wichtigen Dinge (soziale Kontakte, intellektuelle und spirituelle Beschäftigungen, Hobbys usw.) konzentrieren. Wenn Du das tust, spürst Du Dich wieder selbst und erkennst besser, was Dir guttut und was nicht. Zeit schafft auch die Möglichkeit, herauszufinden was Du beruflich machen willst. Wenn Du Zeit hast, kannst Du vielleicht ein Praktikum in einem Berufszweig absolvieren, der Dich immer schon interessiert hat, ein Fernstudium belegen. Oder aber erste nebenberufliche Schritte in einer möglichen Selbständigkeit wagen. Wer weiß, vielleicht ist das Dein Startpunkt in eine völlig neue berufliche Existenz?
Aber wie ist es, wenn ich mir Minimalismus nicht „leisten“ kann?
Möglicherweise verzichtest Du jetzt schon auf vieles und Dein Einkommen ist so gering, dass an so etwas wie Sparen gar nicht zu denken ist? Auch hier gibt es viele Möglichkeiten, trotzdem ein aktives und positives Leben zu führen. Von den Lesern meines Blogs habe ich hierzu schon verschiedenste Erfahrungsberichte bekommen, wie sogar mit wenig Einkommen das Leben ein Stück lebenswerter gemacht werden kann. Ein paar Beispiele:
- Eine bessere Verteilung der Aufgaben im Haushalt, sodass auch gestresste Mütter etwas mehr Auszeit nehmen können.
- Die Anpassung der Kochgewohnheiten von teuren und möglicherweise ungesunden Fertiggerichten hin zu frischem Kochen, was unter dem Strich nicht mehr kostet und nicht mehr Zeit benötigt, aber ein mehr an Qualität bietet.
- Reduzierung oder Beendigung von teuren „Angewohnheiten“ wie z.B. das Rauchen.
- Verschiebung der Arbeitszeiten, sodass diese besser mit der privaten Situation zu vereinbaren sind.
- Teilnahme an kostenlosen/ günstigen Fitnesskursen der Krankenkasse anstatt Besuch eines teuren Fitnessstudios.
Minimalismus bedeutet in diesem Fall nicht nur Verzicht, was vielleicht kaum möglich ist, sondern eine aktive Verbesserung der eigenen Situation mit den bestehenden Mitteln.
Fazit
Minimalismus ist eine Lebensform, die berufliche Freiheit verschaffen wird – sofern das ein Weg ist, den Du für Dich mit all seinen Konsequenzen bejahen kannst. Sicherlich ist es herausfordernd, seine Ausgaben herunterzufahren und einen weitaus geringeren Lebensstil zu praktizieren. Ich denke da an diejenigen, die dies gezwungenermaßen tun müssen, weil sie mit ihrem Gehalt nur knapp über die Runden kommen. Wenn Du jedoch die Möglichkeit hast, hier bewusst wählen zu können, schaffst Du Dir etwas, was nicht zu unterschätzen ist: persönliche Freiheit und ein bewussteres bzw. stressfreieres Leben. Eines noch: Ich verurteile nicht diejenigen Menschen, die viel arbeiten und sich einen hohen Lebensstandart leisten möchten. Jeder darf für sich selbst entscheiden, wie er sein Leben lebt und was für ihn zählt.
Erinnern wir uns abschließend noch an Friedrich Nietzsche, der sinngemäß sagte: „Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave.“ Meine Frage an Dich: Wie ist Dein Standpunkt dazu?
Über die Autorin
Nicole Lindner ist Sozialpädagogin und betreibt eine Onlineplattform für feinfühlige Menschen, die nach persönlicher und beruflicher Entwicklung streben. In ihrem Buch „Feinfühligkeit trifft auf Berufsleben. Wie Sie Beruf und Ihr Naturell in Einklang bringen können“ führt sie ihre Leser Schritt für Schritt in ein erfüllendes Berufsleben.
Praxistipps Minimalismus: Mitmachen
Wie lebt Ihr minimalistisch(er)? Schreibt uns eine E-Mail oder meldet Euch direkt über unsere Mitmachen-Seite. Gerne veröffentlichen wir Eure Erfahrungen auf unserem Blog. Wer mag, packt noch ein kurzes Foto von und ein paar Worte über sich dazu. Auch Vorher-Nachher-Aufnahmen sind herzlich willkommen.
Beitragsbild © Sonja Sedlmaier (fotografie-sedlmaier.de), alle übrigen Abbildungen – soweit nicht anders angegeben – © Nicole Lindner privat.